Vom Suez bis nach Hamburg – Mein Frachtschiff-Tagebuch Teil 2

Vom Suez bis nach Hamburg – Mein Frachtschiff-Tagebuch Teil 2

25. Januar 2020 5 Von Sabine

Southampton hat einen schönen alten Stadtkern, hier genießen ich nach den Wochen an Bord mit überwiegend Instantkaffee endlich mal wieder einen anständigen Cappuccino. Dann machen wir uns auf, etwas maritime Geschichte zu erleben. Im SeaCity Museum dreht sich alles um die Titanic. Und das nicht nur, weil das Schiff von Southampton aus zu seiner Jungfernfahrt aufgebrochen ist, auf der sie vier Tage später mit jenem verhängnisvollen Eisberg kollidierte. Das Museum richtet seinen Blick bewusst auf die Crew des Schiffes, denn ein großer Teil der 900 Mann (und Frau!) starken Besatzung kam aus Southampton. Über 500 Familien aus der Stadt hatten nach dem Untergang der Titanic einen Verlust zu beklagen. Hunderte Kinder wurden Halbwaisen. Wir haben Glück, denn wir erwischen auch gleich noch eine Führung durch die sehenswerte Ausstellung. Unser Guide beschäftigt sich als Hobbyhistoriker seit Jahrzehnten mit der Titanic, und weiß viel zu erzählen. 

Nach dem Museum bummeln wir durch die Fußgängerzone und marschieren dann zum Kreuzfahrtterminal, wo wir zwei Kreuzfahrtschiffen beim Auslaufen zuschauen. Wir können uns gar nicht oft genug sagen, wie froh wir sind, auf einem Frachtschiff zu reisen. Wenn wir auslaufen, dann wummern keine Bässe über Deck und kein DJ schreit ins Mikrophon, wie toll diese Reise wird. Wir stehen auf der Brücke der Kerguelen und sind mittendrin, wenn Lotsen und Crew durch den Hafen manövrieren. Mit anderen Worten: Unsere Reise ist einfach toll! Gerade weil wir kein Animationsprogramm haben, sondern den echten Alltag auf See erleben. Darauf trinken wir erstmal einen englischen Cider in einem Pub.

  • Vorne Kreuzfahrtschiffe, hinten das Containerterminal, wo wir hinwollen

Es werde Licht

Auf dem Rückweg zum Schiff wird am Hafeneingang unser Rucksack durchsucht. Er ist voll mit Süßigkeiten für die Offiziere auf der Brücke, die so geduldig alle Fragen beantworten. Das Hafenpersonal ist ungemein freundlich und hilfsbereit, egal ob an der Pforte, der Sicherheitskontrolle oder die Fahrer, die uns durch den Hafen fahren. In der Kabine dann eine Überraschung: Licht! Die Kräne haben die Containertürme direkt vor unserem Fenster abgetragen. Für den Rest der Reise kann man aus dem Fenster tatsächlich aufs Meer sehen! Also, wenn man ein bisschen seitlich guckt. Die Reihen direkt vor den Unterkünften wurden entladen, weiter vorne stehen aber immer noch die Chinakracher für Hamburg.

Den ganzen nächsten Tag – es ist Nummer 24 für mich – können wir von Bord aus das Ballett der Kräne beobachten. Anders als in Singapur und Algeciras piepsen die Fahrzeuge, die die Container am Kai übernehmen, nicht. Stattdessen schnaufen sie wie kleine Dampfloks. Neben uns machen die Schlepper am Nachbarschiff fest. Es wird direkt vor uns gedreht und dann raus geschleppt Richtung Nordsee. Der Kapitän kommt auf die Brücke, wird trinken gemeinsam einen Kaffee und plaudern. Er gehört zu den wenigen Crewmitgliedern, die einen unbefristeten Vertrag haben. Während der Weltwirtschaftskrise 2009 konnten zahlreiche Schiffe der Reederei mangels Aufträgen wochen- oder gar monatelang nicht fahren oder waren bei weitem nicht ausgelastet. Deswegen gibt es kaum noch feste Verträge für die Mannschaft.

Autos auf See

Gegen 19 Uhr kommen unsere Lotsen an Bord. Sie sind ungemein nett, haben viel Humor und außerdem Spaß daran, uns noch das ein oder andere zu erklären. Einer kommt extra raus auf den Flügel, um uns zu zeigen, von welchem Liegeplatz die Titanic damals abgefahren ist. Bevor wir aber ausfahren könne, muss unser Schiff erst einmal gedreht werden. Die Schleppboote erledigen das. Die Seile knarzen unter der Belastung. Ich bin immer wieder fasziniert, wie klein die Schlepper sind, und doch drehen sie die Ozeanriesen mühelos.

Southampton ist ein großer Umschlagplatz für Autos. Allein heute liegen hier vier Autoschiffe, ein fünftes kommt uns bei der Ausfahrt entgegen. Um sie zu be- und entladen werden die Autos einzeln auf bzw. vom Schiff herunter gefahren. Wir winden uns durch die geschwungene Fahrrinne. Mitten in dieser Fahrrinne für Ozeanriesen wie uns hat ein Angler sein winziges Boot geankert. Er scheint zu schlafen und merkt nicht einmal, dass er im Weg ist. Die Lotsen nehmen es gelassen, fahren einen kleinen Bogen und informieren die Wasserschutzpolizei. Zwischendurch erzählen sie von ihrer Arbeit. Eine Schichte dauert 24 Stunden, in dieser Zeit lotsen sie drei bis vier Schiffe durch die Fahrrinne. Am Ende klettern sie über eine Strickleiter von Bord, während ihr Schiff neben uns herfährt. Mir wird schon vom Zusehen schwindelig. Der Tag endet mit einem fantastischen Vollmond, der sich auf dem Meer spiegelt.

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