Die Höhlenkunst von Fugoppe und Temiya
Sie sehen aus wie Engel. Dutzende geflügelte Figuren sind in die Felswände der kleinen Höhle geritzt, zusammen mit Menschen, Tieren und Booten. Die meisten Figuren nur knapp über dem Höhlenboden, manche ungefähr auf Kopfhöhe. Vor zweitausend Jahren gab es hier auch eine Feuerstelle. Archäologen haben zudem Keramik und Knochen ausgegraben. Doch während vergleichbare Höhlen etwa mit Aboriginal-Kunst in Australien oder steinzeitlichen Bemalungen in zum Beispiel Frankreich weltberühmt sind, gibt es zu dieser Höhle nicht einmal einen Flyer bei der lokalen Touristeninformation. Und so habe ich Höhle und Museum für mich alleine, außer mir ist nur eine einsame Museumsangestellte hier.
Auf Hokkaido, der nördlichsten der vier japanischen Hauptinseln, lebte in vorchristlicher Zeit eine Kultur, über die nur wenig bekannt ist. Was man über diese Menschen weiß, ist, dass sie zur Verzierung ihrer Keramik mit Schnüren Muster in den feuchten Ton drückten. Deswegen gaben Forscher ihr den Namen Jōmon, Japanisch für Schnurmuster. Doch nicht nur zahllose reich verzierte Tongefäße haben diese Ureinwohner Japans hinterlassen. Unweit von Hokkaidos Hauptstadt Sapporo gibt es zwei Höhlen, in denen die Jōmon hunderte so genannter Petroglyphen in den Stein gemeißelt oder geritzt haben, deren Bedeutung den Forschern bis heute Rätsel aufgibt.
Einzigartig und kaum bekannt
Es ist Zufall, dass ich überhaupt hier gelandet bin. Als ich im Februar zum Schneefestival für ein Wochenende in Sapporo war, habe ich auch das historische Museum besucht. Dort lief ein Video mit Bildern aus der Fugoppe Höhle. Ich hatte erwartet, dass so ein archäologischer Schatz nur für Forscher zugänglich ist. Aber eine schnelle Internetrecherche ergab: die kann man tatsächlich besuchen! Kurz vor dem Ende meines Japan-Jahres mache ich nun die lang ersehnte Tour durch Hokkaido, und natürlich habe ich die beiden Höhlen mit ins Programm genommen (auf Temiya bin ich bei meiner Internetrecherche gestoßen). Dabei tauchen sie nicht einmal in meinem Reiseführer auf. Was ich nur schwer nachvollziehen kann, den Fugoppe und Temiya sind die beiden einzigen Orte in ganz Japan, an denen man solche Höhlenkunst gefunden hat, weswegen sie etwas ganz besonderes sind. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass es nicht vielleicht noch mehr Höhlen gibt. Fugopppe wurde auch erst 1950 zufällig von einem Schuljungen entdeckt.
Inzwischen haben die Japaner – ganz pragmatisch – ein Museum vor den Höhleneingang gebaut, die Petroglyphen mit Glaswänden geschützt und kleine Scheinwerfer installiert, die die Besucher nach Lust und Laune an- und ausknipsen können. Fugoppe ist meine erste Station und definitiv die schönere der beiden Höhlen. Nicht nur, weil sie mit etwa sieben mal sieben Metern größer ist als Temiya und rund 800 Bilder in ihre Wände geritzt wurden. Die Bilder hier erschließen sich zumindest zum Teil. Zwei Menschen, die Hand in Hand dargestellt sind. Ein Boot, schließlich sind wir hier an der Küste. Und immer wieder geflügelte Figuren, von denen Forscher annehmen, dass es sich um Schamanen handelt. Das Museum jedenfalls hat eine dieser Figuren gleich mal zu seinem Logo gemacht.
Bevor ich in die Höhle selber komme, sehe ich in einer Ausstellung Keramik, Tierknochen und ein lebensgroßes Modell von Teilen der Höhle, an dem ich die Bilder im Detail studieren kann. Vor allem die „Engel“ faszinieren mich. Es ist schon interessant, wie sich das Konzept eines geflügelten Wesens als Verbindung zu den Göttern in ganz unterschiedlichen Kulturen und Religionen entwickelt hat. Es sei denn, die haben alle voneinander abgeguckt. Die Jōmon-Kultur jedenfalls scheint russische Einflüsse zu haben (man kann Mütterchen Russland tatsächlich übers Meer hinweg sehen), auch wenn sich die Petroglyphen hier nur zum Teil mit russischen Funden vergleichen lassen. Ob die Jōmon in dieser Höhle gelebt oder sie nur für rituelle Handlungen genutzt haben, vermögen die Forscher nicht zu sagen. Zu wenig ist über die Religion dieser Kultur bekannt.
Heilige Männer in großen Roben
Die Temiya Höhle ist eigentlich nur noch ein Wand. Die Petroglyphen wurden 1866 von einem Steinmetz entdeckt, der hier Baumaterial suchte. Einige Forscher schrieben damals über die Bilder im Stein, aber offensichtlich maß man ihnen keine große Bedeutung zu, denn ein Teil der Höhle wurde abgetragen, als man vor der heutigen Tür eine Bahnstrecke baute. Erst 1920 bekam das, was noch übrig war, einen Schutzstatus und seither arbeitet man an der Erhaltung. Im Zuge des Museumsbaus wurde eine Höhlenatmosphäre nachempfunden.
Die verbliebene Wand ist über und über mit Figuren bedeckt, von denen die meisten Hörner zu tragen scheinen. Auch hier geht man davon aus, dass es sich um Schamanen in rituellen Gewändern handelt. Die Atmosphäre gibt allerdings keine spirituelle Gelassenheit her. Die Schaukästen sind von hinten beleuchtet und spiegeln sich zum Teil in der Glasscheibe, hinter der die Wand geschützt ist. Zu einer Animation plärrt es viel zu laut und nervig aus Lautsprechern. Der Zahn der Zeit hat an diesen Petroglyphen zudem stärker genagt als in Fugoppe. Wahrscheinlich, weil jemand eine halbe Höhle weggehauen hat, um Schienen zu verlegen.
Ich besuche noch das städtische Museum. Es gibt zwar eine kleine Ausstellung auch zu den Jōmon, aber leider ist sie ausschließlich auf Japanisch gehalten. Trotzdem lohnt sie sich. Hier wird gezeigt, wie für die Keramik verschiedene Schnurmuster durch unterschiedliche Anordnung der Schnüre entstanden sind und außerdem gibt es einen Nachbau der Höhlenwand, ganz ohne trennenden Glasscheibe. Ich bin jedenfalls froh, dass ich extra für diese archäologischen Besonderheiten in die Provinz gereist bin. So entspannt wie hier bekomme ich so etwas wahrscheinlich nie wieder zu sehen.
Hintergrundinformation und Anreise
Die Jōmon-Kultur wird auf etwa 13.000 bis 400 vor Christus datiert. Einst bevölkerte sie ganz Japan, wurde aber von anderen asiatischen Einwanderern zurückgedrängt, bis sie nur noch auf Hokkaido zu finden war. Die Jōmon gelten als die Vorfahren der heute noch hier lebenden Minderheit der Ainu. Auf den anderen Inseln vermischten sie sich mit den Einwanderern, woraus die Vorfahren der heutigen Japaner hervorgingen. Genetisch sind nach den Ainu interessanterweise die Einwohner der Tropeninseln Okinawas ganz im Süden Japans noch am nächsten mit den Jōmon verwandt.
Wer beide Höhlen besuchen will, wählt am besten Otaru als Ausgangspunkt. Von Sapporo aus kommt man hier in etwas mehr als einer halben Stunden mit der Bahn hin. Die Temiya Höhle liegt in Otaru selber und man kann vom Bahnhof aus entweder den Bus nehmen oder einen längere Spaziergang entlang des Kanals machen. Nach Fugoppe (zwischen Otaru und Yoichi) fährt ungefähr alle halbe Stunde ein Bus, an der Touristeninformation in Otaru kann man sich den Fahrplan mitnehmen. In Fugoppe ist fotografieren verboten, in Temiya ist es zu dunkel. Daher habe ich für diesen Beitrag Broschüren und Postkarten abfotografiert (Fugoppe) bzw. eine beleuchtete Infobox mit einer Übersicht der Petroglyphen (Temiya).