Kyoto Sightseeing: Die 47 Tempel von Myōshin-ji
Als es langsam dunkel wird, beginnt eine Trommel zu schlagen. Wenig später wird sie durch eine Glocke abgelöst. Der Tempel, in dem gerade ganz offensichtlich gebetet wird, ist geschlossen. Ich setze mich auf die Stufen des Tempels gegenüber, lausche den Klängen und beobachte einfach ein bisschen die Leute. Schulkinder in Uniform auf dem Heimweg. Jogger, Spaziergänger mit Hund – und ab und zu ein Tourist. Es ist wunderbar ruhig und entspannt in dieser Ecke Kyotos, die eine eigene kleine Welt zu sein scheint.
Der Myōshin-ji ist eine Tempelkomplex mit 47 Tempeln, von denen nur der kleinste Teil für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Das Gelände ist aber nach allen Seiten offen, und der Übergang ins Wohnviertel dahinter ist fließend. Hier liegt unter anderem auch der Shunko-in Tempel, in dem ich vor einigen Wochen versucht habe, zu meditieren. Damals hatte ich keine Zeit, den Komplex zu erkunden, ich bin schließlich schulpflichtig und musste zum Unterricht. Nun streife ich schon seit einer guten Stunde hier herum, und habe noch lange nicht alles gesehen.
Viele Tempel sind verschlossen, andere lassen einen zwar nicht eintreten, aber zumindest einen Blick durch das Tor werfen. Hier und dort steht aber einen Tür auf. Meist gibt es einen Bewegungsmelder am Eingang, und man hört es klingeln, wenn man in den Vorraum tritt. Aus den Tiefen des Tempels eilt dann jemand herbei, der einem das kleine Eintrittsgeld abnimmt und im Gegenzug eine Broschüre überreicht. So ausgestattet, darf man den Tempel und vor allem den Tempelgarten erkunden.
Auf Adiletten in den Zen-Garten
Ich stehe im Keishun-in Tempel, bin derzeit der einzige Besucher, und die Dame, die mich in Empfang genommen hat, ist schon wieder verschwunden. Es passiert einem in Kyoto eher selten, dass man einen ganzen Tempel nur für sich hat. Auf Socken wandle ich über die Veranda und blicke in den Garten. Auf der anderen Seite muss ein Baseballfeld sein, auf dem geübt wird, und ich höre das Schlagen der Bälle bis hierhin. Am Ende der Veranda führt eine Steintreppe in den Garten. Da man die Schuhe am Tempeleingang ausziehen musste, schlüpfe ich nun in ein paar Plastiksandalen, die der Tempel hier zur Verfügung stellt. Auf Adiletten geht es in den Zen-Garten. Erste Blätter an den Ahornbäumen färben sich rot, ansonsten herrscht üppiges Grün vor. Vor allem auch am Boden, der komplett mit Moos bedeckt ist. Ein kleiner Schrein, eine Buddhastatue, dazwischen eine Sitzgelegenheit. Es fällt leicht, sich vorzustellen, dass hier Mönche meditieren und allem Weltlichen entrückt sind.
Weiter geht es durch den Komplex. Ein Tempel hat nur den Vorgarten geöffnet, an den sich ein Kinderspielplatz anschließt, von dem aus man wiederum auf den Friedhof schaut. Ich komme vorbei am Shunko-in Tempel, der nur im Rahmen der Meditationskurse besucht werden kann. Vor dem namensgebenden Haupttempel angekommen, muss ich feststellen, dass ich für die Führung, mit der man ihn besichtigen kann, zu spät kommen. Um 16 Uhr gehen die Türen zu. Dann eben ein anderes Mal. Ich habe längst beschlossen, mich mal für ein Wochenende in einem der Tempel einzumieten. Einige haben nämlich ein Guesthouse und lassen einen als stillen Gast auch beim Morgenritual der Mönche zu.
Japaner, die auf Kerzen starren
Mein letzte Station und der Grund, warum ich heute hierher gekommen bin, ist der Torin-in Tempel. Es ist der vorletzte Abend eines 10-tägigen Laternenfestes. Ich weiß nicht recht, was mich erwartet, und dachte, man würde im Schein von Laternen durch den Tempelgarten wandern. Nicht ganz, stelle ich fest.
Um 18 Uhr soll es losgehen, um kurz nach halb sechs stehen schon die ersten am Ticketschalter an. Um kurz vor sechs öffnet der Tempel seine Pforten. Schuhe ausziehen ist auch hier das Gebot der Stunde. Dann betritt man den schummrig beleuchteten Tempel. Rund 400 Laternen und Kerzen wurden im Garten verteilt, und von der dunklen Veranda aus blickt man auf dieses stimmungsvolle Bild. Ich mache es wie die Japaner, setzte mich auf die Veranda und schaue in den Garten. Durchaus meditativ. Aber irgendwann werden die bestrumpften Füße kalt und ich mache mich auf den Heimweg. Kaum verlasse ich den Tempelkomplex, wird mir wieder bewusst, dass Japan eigentlich eine dicht besiedeltes Land ist. Das macht solche kleinen Fluchten so besonders.