In die Waldeinsamkeit

In die Waldeinsamkeit

12. April 2019 0 Von Sabine

Weil Kyoto momentan voller Touristen ist, die alle die Kirschblüte sehen wollen, habe ich mich für einen halben Tag aufgemacht in die Waldeinsamkeit. Genauer gesagt nach Kurama und Kibune (manchmal auch Kifune geschrieben), um dort ein kleines Berglein zu erklimmen. Das ist nicht einmal 600 Meter hoch, und die Bimmelbahn dorthin nimmt einem auch schon ein Stück des Weges ab. Und weil auf dem Berg ein Tempel steht, ist der Aufstieg gesäumt von Laternen, kleinen Brücken und Statuen.

Kurama heißt sowohl der Berg als auch der Ort am Fuß des Berges, und der Tempel auf dem Berg heißt logischerweise Kurama Tempel. Das Örtchen gehört zur Präfektur Koyto, also nicht zum Stadt- aber zum Verwaltungsbezirk meiner Wahlheimat. Vom Bahnhof aus geht man keine fünf Minuten zum Beginn des Tempelkomplexes. Denn auch wenn die Haupthalle auf dem Gipfel steht, gibt es hier unten schon die ersten Gebäude – und das Kassenhäuschen. 300 Yen zahlt man (nicht ganz 2,50 Euro), die dem Unterhalt der weitläufigen Anlage zugute kommen. Auf dem Gelände des buddhistischen Tempels steht gleich hier unten erst einmal ein Shinto-Schrein. Eine solche Mischung von Religionen ist hier nicht unüblich, die meisten Japaner praktizieren beides. Wohlan, hinauf auf den Gipfel!

Die Faszination des Mooses

Wer in Japan durch Tempelanlagen geht, dem fällt schnell auf, dass alles blitzsauber ist. Mit einer Ausnahme: wo bei uns jedes Fleckchen Moos mit dem Kärcher ins Nirwana gespült würde, darf das Grün hier fröhlich wachsen. Mehr noch: es gibt in diesem Land sogar spezielle Moosgärten, wo zum Teil mehr als 100 verschiedene Sorten Moos liebevoll gepflegt werden. Und ich muss zugeben, ich mag dieses zähe Grün, das einfach überall einen Lebensraum findet. Hier im feuchten Wald wachsen ganze Biotope verschiedener Arten auf Laternen und Statuen und verleihen dem Ort einen besonderen Zauber.

Der Aufstieg von Kurama aus geht größtenteils über gepflasterte Wege und steinerne Treppen, über kleine zinnoberrote Brücken und durch Tempeltore. Es sind nicht viele Menschen mit mir unterwegs, ein Teil der Fahrgäste in der Bimmelbahn ist schon in Kibune ausgestiegen und macht die Tour in umgekehrter Richtung. Eine Kindergartengruppe kommt mir entgegen, die Kleinen sehr aufgeregt über dieses Abenteuer. Ansonsten genieße ich Vogelgezwitscher und das knarzen der Bäume im Wind. Allerdings fällt schnell auf, dass einige Bäume beim letzten Taifun im September etwas zu sehr geknarzt haben. Überall liegen umgekippte Bäume im Wald, einige Gebäude sind nicht zugänglich, zersägte Baumstämme liegen in regelmäßigen Abständen am Weg. Hier hat der Wind in wenigen Stunden vieles zerstört, und es wird noch Jahre dauern und mehr als 300 Yen pro Besucher kosten, um das wieder aufzubauen.

Haupthalle Kurama Tempel
Haupthalle des Kurama Tempels auf dem Gipfel

Eine entspannte dreiviertel Stunde später komme ich bei der Haupthalle auf dem Gipfel an. Kirschbäume rahmen sie ein, von drinnen hört man den Gesang der Mönche. Ich hole mir meinen Pilgerstempel ab, genieße dann die Aussicht und den Gesang. Noch ein paar Meter geht es hinauf zum Glockenturm, der oberhalb der Haupthalle thront. Dann mache ich mich auf der anderen Seite an den Abstieg, Ziel: Kibune. Ein freundliches Warnschild ermahnt mich, mich nicht mit Bären, Hirschen, Schlangen und Hornissen anzulegen. Es ist ein Wunder, dass ich diese Tour überlebt habe.

Von Kassenhäuschen zu Kassenhäuschen

Hier gibt es oft keinen befestigten Weg mehr, sondern einen teils steilen Waldweg. Einige Stücke sind stark geschädigt durch den Taifun. Ein Geländer ist eingeknickt unter der Wucht eines fallenden Baums. Ich bin froh, auf der anderen Seite hochgekommen zu sein, das hier ist weit weniger stimmungsvoll, eher wie ein Katastrophenfilm. An einem Schrein entlang des Weges ruht eine Gruppe älterer Japaner in vollem Wanderoutfit aus. Touristen quäle sich den matschigen Weg hinauf. Ja, die andere Seite war definitiv die bessere Wahl für den Aufstieg.

Das Ende meines Weges erkenne ich daran, dass dort das Kassenhäuschen für die hier startenden Wanderer steht. Über eine kleine Brücke geht es ins Örtchen Kibune. Ich stattet dem dortigen Shinto-Schrein noch einen Besuch ab, bevor ich mich auf den Weg Richtung Bahnhof mache. Nach den trubeligen Tagen unter Kyotos Kirschbäumen war diese Tour in die Waldeinsamkeit eine willkommene Auszeit.

Praktische Informationen

Von Gion oder Shijo aus fährt man mit dem Keihan-Zug bis zur Endhaltestelle Demachiyanagi und steigt dort in die Bimmelbahn der Eizan-Linie um. Kurama ist die Endhaltestelle, ab dem Bahnhof einfach immer bergauf. In Kibune liegt der Bahnhof eine halbe Stunde Fußmarsch vom Schrein entfernt. Aber ein Stückchen die Straße bergab gibt es eine Bushaltestelle mit einem Shuttlebus zum Bahnhof.