Mona Lisa in der Provinz
Erst kurz in die Sixtinische Kapelle, dann weiter zu Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring, vorbei am Letzen Abendmahl und schließlich rüber zur Mona Lisa. Nein, ich habe mir keinen Privatjet angeschafft und fliege durch die Welt. Ich bin in der japanischen Provinz im Otsuka Museum in Naruto. Und hier gibt es über 1.000 Kunstwerke aus mehr als 190 Museen in 25 Ländern als Kopie in Originalgröße. Weswegen ich, die ich noch nie in Rom war (ich weiß, ich weiß, aber niemand ist perfekt), plötzlich mitten in der Sixtinischen Kapelle stehe. Ach ja, ich sollte vielleicht dazu sagen, dass die Bilder alle und ausschließlich auf Keramikplatten reproduziert sind.
Am Ticketautomaten geht es schon gut los, da hat jemand an der Übersetzung gespart. Das zweite Schriftzeichen für das Wort Student ist gleichzeitig auch das erste für den Ausdruck für Bier vom Fass (ist kompliziert, macht aber tatsächlich Sinn). Folglich steht auf dem entsprechenden Knopf am Ticketautomaten elementary, junior high and senior high school draft beer. Nicht sicher, ob ich ohne Alkohol für einen Studentenrabatt qualifiziert bin, marschiere ich mal lieber zum Schalter. Ich zücke meinen Schulausweis nur selten, aber der reguläre Eintrittspreis ist hier so hoch wie kaum in einem anderen Museum in diesem Land: umgerechnet 25 Euro. Die Damen beraten sich und geben mir Rabatt, für gut 17 Euro komme ich rein.
Das Museum ist in einen Berg gebaut, und es geht mit einer Rolltreppe erstmal ein gutes Stück nach oben. Weil ich in aller Frühe und ohne Frühstück mein Hotel verlassen und vor dem Museum schon eine Bootsfahrt gemacht habe, investiere ich das gesparte Eintrittsgeld erstmal in einen Kaffee. Das Café heißt Vincent (wie in: van Gogh) und neben der Kasse steht ein Bett. Es handelt sich um die Live-Version eines Gemäldes von van Gogh, das weiter oben in der Ausstellung hängt. Während ich meinen Kaffee trinke, flimmern auf dem Monitor gegenüber die Angebote von Café und Restaraunt vorbei. Es gibt Pfannkuchen mit dem eingebrannten Gesicht aus Edvard Munchs Der Schrei! Ich komme kurz in Versuchung, entscheide mich dann aber, mal lieber ein paar Bilder anzugucken.
Keramik monumentale
Um eine lange Geschichte kurz zu machen: das Privatmuseum, das sich rühmt, die größte Ausstellungsfläche in ganz Japan zu besitzen, wurde von einem Chemiekonzern gebaut, zu dessen Portfolio unter anderem auch Keramikbilder gehören. Zum 75ten Firmenjubiläum im Jahr 1998 hat der Konzern sich selber dieses Museum geschenkt. Und dabei nicht gespart. Hier sind ganze Kirchen zu sehen, Häuser aus Pompei nachgebaut und Leonardo da Vincis monumentales Abendmahl ist gleich zwei Mal ausgestellt: in der Version vor und nach der Restaurierung. Die Idee dahinter: die Originale sind nicht nur einem natürlichen Alterungsprozess ausgesetzt, sondern können jederzeit auch mutwillig oder durch Katastrophen zerstört werden. Diese Kopien dagegen sind wesentlich haltbarer und können im Zweifel auch nachproduziert werden. Fotografieren ist hier daher auch nach Lust und Laune gestattet.
Die Besucher starten den Rundgang in der Sixtinischen Kapelle in Originalgröße (rechts). Anders als beim Original kann man hier aber später noch eine Etage höher einen Blick vom Balkon aus in das Gotteshaus werfen und kommt so näher an die Deckengemälde. Eine einzelne Figur der Deckenbemalung hat man noch einmal am Boden ausgestellt – so bekommt man eine Idee davon, wie groß die da oben sind.
Pfeile auf dem Boden weisen mir den Weg zur nächsten Halle. Auf insgesamt fünf Etagen sind die Kunstwerke mehr oder weniger chronologisch angeordnet, ein minutiös ausgearbeiteter Weg sorgt dafür, dass ich nichts verpasse. Für Eilige bietet die umfangreiche Museumsbroschüre den Schnelldurchlauf zu den Highlights. Und die Auswahl der Kunstwerke spiegelt nicht nur den Anspruch, alle Epochen der – Obacht! – westlichen Kunstgeschichte abzubilden, sondern zeigt ein Stück weit auch, welche Künstler in Japan besonders beliebt sind. Die eigenen offensichtlich nicht, denn andere als westliche Kunst kommt hier nicht vor. Dafür geht es von Rom aus direkt nach Delft. Denn an die Kapelle schließt sich der Vermeer-Saal an. Im Zentrum das Mädchen mit dem Perlenohrring. Vor dem Raum kann man sich einen Turban aufsetzten, eine Perle ans Ohr hängen und den holländischen Augenaufschlag fürs Foto nachmachen …
Einzelstücke zusammengeführt
Mehrere Stunden wandere ich nun durch die Hallen. Eine komplette byzantinische Kirche wurde hier nachgebaut (links). Ebenso ein etruskisches Grab und das berühmte Alexandermosaik aus Pompei. Griechische Vasen sind in einer interessanten neuen Perspektive zu sehen: sie wurden aufgeklappt, so dass man die Bemalung nun als komplettes Bild sehen kann. Nur der Henkel zeigt an, dass es sich im Original nicht um ein Bild handelt (ganz unten). Ich betrete eine Kirche, in der ein Altar steht, den El Greco gemalt hat. Die Altarstücke im Original sind heute auf verschiedene Museen verteilt. Hier in Naruto sind sie als Kopie wieder zusammengeführt.
Zusammengebracht wurden auch Bilder eines weiteren Lieblings der Japaner: van Gogh. Sieben Sonnenblumenbilder hat der Mann gemalt, lerne ich hier. Eines ist in Privatbesitz in den USA und wurde 1948 das letzte Mal öffentlich ausgestellt. Ein Bild ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden – und zwar in Japan. Ein wohlhabender Geschäftsmann hatte es gekauft, um es in seiner Heimat in einem Museum auszustellen. Allerdings ging es bei Luftangriffen der Amerikaner in Flammen auf. Die anderen Bilder sind in Museen auf der ganzen Welt verteilt: München, Amsterdam, London, Tokyo und Philadelphia. Hier kann ich sie alle sieben in chronologischer Reihenfolge sehen. Von dem zerstörten Bild gibt es nur ein schwarz-weiß Foto und einen Farbdruck. Auf dieser Basis hat das Otsuka Museum das Bild rekonstruiert (rechts).
Bilder gucken ohne Aufpasser
Eines ist in diesem Museum ganz anders: es gibt keine Aufpasser. Hier darf man ganz nah ran an die Bilder, ohne dass man gleich ermahnt wird. Selbstredend wird geknipst, was der Handy-Akku hergibt. Selfies mit den berühmtesten Bildern der Kunstgeschichte. Für viele Japaner ist dieses Museum wohl auch aus einem anderen Grund so beliebt: man nimmt in diesem Land nur sehr wenige der einem zustehenden Urlaubstage. Daher reisen die Japaner immer im Sauseschritt durch die Welt. Hier dagegen können sie Bilder aus der ganzen Welt arbeitgeberfreundliche an einem einzigen Sonntag in Ruhe anschauen.
Ich dagegen gehe mit gemischten Gefühlen durch die Ausstellung. Nur bei einem Teil der Bildern wurde auf die bedruckte Keramik noch Farbe aufgetragen. Bei den van Goghs zum Beispiel, denn der zeichnet sich ja unter anderem durch sehr dicke Farbschichten aus, die hier zusätzlich appliziert wurden. Bei vielen Bildern vermisse ich eine solche aufwändige Nachbearbeitung aber, daher hat die Kopie nicht annähernd das Appeal eines Originals. Auch scheint die Größe der Keramikplatten beschränkt zu sein. Monumentalwerke wie Rembrandts Nachtwache oder Botticellis Geburt der Venus bestehen aus mehreren Platten, und man sieht deutlich einen kleinen Spalt zwischen den einzelnen Stücken.
In dieses Museum sollte man also vor allem gehen, weil es die einzigartige Möglichkeit bietet, Bilder in neuer Perspektive zu erleben. Die Sonnenblumen von van Gogh etwa werden so niemals in einer Ausstellung zu sehen sein, ebenso El Grecos Altar. Das ist es, was dieses Museum außerordentlich macht. Auch die Themensäle bieten interessante neue Blicke auf bekannte Kunstwerke. So kann man zum Beispiel in einem Saal nur Bilder der Verkündigung der Geburt Jesu sehen und miteinander vergleichen. Bei der Auswahl der Kunstwerke hat der Konzern Experten für die verschiedenen Epochen konsultiert, das Museum hat Klasse und ist mehr als nur eine Firmenwerbung. Der Konzern präsentiert sich sehr dezent an einer einzigen Stelle, und hier geht vor allem um den Produktionsprozess der Bilder. Und so manches Kunstwerk musste auch erst abgenommen werden. Picassos Guernica etwa wurde von dessen Sohn inspiziert.
Einmal Sonnenblume sein
Wie üblich beschließe ich den Ausflug im Shop. Es gibt natürlich handliche Keramikbilder im Überfluss. Kunst und Kitsch und natürlich jede Menge Kuchen und Kekse mit Kunstmotiv, damit man den Daheimgebliebenen etwas mitbringen kann. Sonnenblumenbonbons und Munchs Schrei als Pfefferminz sind auch hier der letzte … nun ja, Schrei. Mein persönlicher Topfavorit ist aber der Jutebeutel mit Das letzte Abendmahl Judas Iskariot Schokomünzen. Man muss es nur kreativ zu bewerben wissen.
Für die Munch-Pfannkuchen habe ich leider keine Zeit mehr, ich muss den Linienbus nach Tokushima kriegen, weil dort der Fernbus nach Kyoto auf mich wartet – oder eben nicht. Aber ich beobachte noch kurz die Japanerinnen, die ernsthaft erwägen, sich in die riesige Sonnenblumenvase am Eingang zu stellen, und mit plüschigem Zubehör selber zur Sonnenblume zu werden. Ganz ehrlich: sowas gibt es nur in Japan!
Praktische Informationen
Das Museum hat natürlich eine Website, auf der noch mehr Bilder zu sehen sind. Die Anreise ist etwas mühsam, von der Präfekturhauptstadt Tokushima aus fährt stündlich ein Linienbus bis direkt vors Museum, allerdings braucht er dafür über eine Stunde. Nach Tokushima kommt man mit dem Zug oder etwas billiger und trotzdem sehr bequem mit dem Fernbus – der ironischerweise auch von der japanischen Bahn betrieben wird, die sich damit selber Konkurrenz macht. Unterhalb des Museums ist zudem direkt einer der beiden Anleger für die Bootstouren zu den Naruto Strudeln, die zu besuchen sich ebenfalls lohnt.