Der lange Weg zurück – Mit dem Containerschiff um die halbe Welt – Teil 1

Der lange Weg zurück – Mit dem Containerschiff um die halbe Welt – Teil 1

18. Januar 2020 5 Von Sabine

Es ist Tag Nummer 13, und wir sehen erstmals wieder Land. Karge beige-rote Felsen rahmen den Golf von Suez ein. In der Fahrrinne: Bohrinseln. Manche in Betrieb, manche offensichtlich verlassen. Der Kapitän lässt am Morgen die Geschwindigkeit hochdrehen. Hinter uns sind einige Schiffe, und wir wollen vor ihnen am Suez ankommen, damit wir einen guten Ankerplatz und damit einen der vorderen Plätze in morgigen Konvoi durch den Kanal bekommen. Denn der Suez ist über weiter Strecken einspurig. Nur in der Mitte können sich Schiffe begegnen. Deswegen startet jeden Morgen um fünf Uhr auf beiden Seiten des Kanals ein Konvoi mit großen Frachtschiffen wie unserem. Mittags begegnen sie sich an der einzig möglichen Stelle. Gegen 17 Uhr erreichen die Konvois das jeweilige Ende des Kanals. Wer dann weiter vorne ist, kommt schneller aus der langen Reihe von Schiffen heraus, und Zeit ist in diesem Business bekanntlich Geld. Kleinere Schiffe werden auch nachts durch den Kanal geführt. Kriegsschiffe haben immer Vorrang. Auf der Brücke liegt schon eine lange Checkliste für die Durchfahrt. Romantik sucht man in der Seefahrt vergeblich, Bürokratie findet man dagegen an jeder Ecke.

Erhöhtes Verkehrsaufkommen bei der Anfahrt auf den Suez-Kanal

Wie mann 400 Meter Stahl einparkt

Gegen 18 Uhr reduzieren wir die Geschwindigkeit. Im Licht der untergehenden Sonne kommen uns die letzten Schiffe aus dem heutigen Konvoi entgegen. Über den kargen Felsen entlang der Strecke liegt eine Sandwolke, daneben gehen die Lichter der Stadt an. Über Funk ruft die Crew immer wieder den Hafen, doch der lässt sich lange bitten. Dann endlich werden wir aufgerufen, müssen Gewicht, Ausgangshafen und den nächsten geplanten Stopp angeben. Auch die Anzahl der als Gefahrgut eingestuften Container und die Funktionstüchtigkeit unseres Ankers werden abgefragt. Und wir müssen bestätigen, dass wir eine spezielle Lampe dabei haben. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir im Suez ankern müssen, ist dieses Positionslicht vorgeschrieben. Morgen werden die Kanalbetreiber einen lokalen Elektriker an Bord schicken, der nur für dieses Lämpchen zuständig ist. Das wir aber nur im Notfall brauchen. Meist hat der Elektriker also zwölf Stunden lang nichts zu tun.

Wir bekommen endlich unseren Ankerplatz genannt, auf der Seekarte im Computer sind diese überdimensionierte Parkbuchten genau eigezeichnet. Nun gilt es, 400 Meter Schiff an die passende Stelle zu befördern. Wir werden immer langsamer, der Kapitän dirigiert, der Steuermann lenkt, der OOW kümmert sich um die Bürokratie. Der Erste Offizier ist für das Manöver auch auf die Brücke gekommen. Eine Weile sieht es für mich so aus, als wären wir auf Kollisionskurs mit unserem Nachbarn. Sind wir aber nicht. Statt das Schiff nebenan zu rammen, liegen wir plötzlich daneben. An Deck hat ein Team schon vor einer dreiviertel Stunde den den Anker auf Höhe des Wasserspiegels herabgelassen, nun endlich fällt er. Dann lässt der Kapitän Ankerkette nachgeben und wir warten, bis das Schiff sie stramm zieht. Einen Vorteil hat die Nähe zum Land: meine deutsche SIM-Karte findet Netz, ich kann mit DEM MANN ein paar Textnachrichten austauschen. Er redet noch mit mir, obwohl ich mit einem Haufen Seemänner durchgebrannt bin. 

  • Einfahrt in den Suez-Kanal

Lotsen mit Stil

Über Nacht herrscht reger Verkehr zwischen den Schiffen. Der Müll wird von kleinen Booten abgeholt und Beamte prüfen unsere Papiere. Auch das Veterinäramt kommt vorbei und prüft das Kühlhaus mit unseren Vorräten. Für fünf Uhr in der Früh ist der Lotse angekündigt. Als ich um kurz vor fünf auf die Brücke komme, sind außer dem Kapitän nur der OOW und der Steuermann da. Alle sind erstens in Uniform erschienen und zweitens recht entspannt, für sie ist der Suez nicht halb so aufregend wie für mich. Aber ich mache das ja auch zum ersten Mal.  

Die Suez-Lotsen sind alle schon im Rentenalter, die Betreiber haben ein ernstes Nachwuchsproblem. Unserer kommt erst um Viertel vor sechs, wir sind Schiff Nummer sieben im heutigen Konvoi von 23 Schiffen. Dieser Lotse führt uns aber nur durch den Hafen in den Kanal, dann übernehmen Kollegen von ihm. Dieses Duo kommt in blütenweißen Uniformen und könnte damit problemlos auch im Traumschiff auftreten. Auf halber Strecke der 162 Kilometer Kanal wechseln die Lotsen nochmal. Mit acht Knoten Geschwindigkeit und eineinhalb Seemeilen Abstand voneinander ist die Schiffskarawane nun zwölf Stunden lang unterwegs. Den Vormittag über sieht man auf der Sinai-Halbinsel fast nur Sand und Gestein. Auf der anderen Seite dagegen ist es grün und von Landwirtschaft geprägt. Bauern ernten Gras mit der Sichel, jemand reitet auf einem Esel. In der Ferne fährt hupend ein Zug vorbei. Regelmäßig kommen wir an Militärposten vorbei, noch öfter liegen Pontons bereit, damit das ägyptische Militär im Zweifel schnell über den Suez auf den Sinai kommt.

Zwischen den gigantischen Containerschiffen dümpeln winzige Fischerboote ohne Motor, sie werden gerudert und haben zudem ein Segel. Auf dem Großen Bittersee versucht die Wasserschutzpolizei, die Fahrrinne frei von kleinen Booten zu halten. Denn die Containerschiffe können im Zweifel nicht ausweichen, selbst wenn sie wollten. Die Fahrrinne in dem ansonsten flachen See ist so schmal, dass die Fundamente der Bojen, die neben der Rinne den Weg durch den See markieren, aus dem Wasser ragen. Hinter dem See trennt sich der Kanal in zwei Wasserwege, wir haben die Hälfte der Strecke hinter uns und kommen jetzt am Gegenverkehr vorbei. Anfangs sieht man die entgegenkommenden Schiffe noch, dann versperren Sandberge den Blick, oft sieht man nur den Schornstein. 

  • Nur an einer Stelle können sich Schiffe begegnen

Die Richtung macht’s

Auf der Sinai-Halbinsel taucht vor uns eine Geisterstadt auf. Keine alte, verlassene Stadt. Sondern eine neue, die noch nicht bewohnt ist. Endlose Reihen Wohnkomplexe, Swimmingpools und Moscheen. Man sieht keine Menschenseele. Die Lotsenstation ist gegenüber, sie sieht aus wie ein Schiff und wirkt auf mich ein bisschen wie ein Kinderspielplatz. Ab hier geht es kilometerlang geradeaus, am Ufer modernere Städte, aber selbst die mehrstöckigen Häuser sind kleiner als unser Schiff. Eine einsame Brücke, von Japan erbaut, überspannt den Kanal. 

Es ist Nachmittag, und wir nähern uns dem Ende der Durchfahrt. Hier gibt es noch einen kleinen Hafen. Auf der anderen Seite ein Badestrand mit Blick auf Ozeanriesen. Die Lotsen werden abgeholt, ebenso der Techniker, der sich nicht um unsere Lampe kümmern musste. Der Kanal ist zwar zu Ende, aber noch fahren wir im Konvoi, denn nur in der Fahrrinne ist das Wasser tief genug für uns. Erst eine Stunde später können wir Gas geben. Der Kapitän atmet auf, er ist froh, endlich wieder Herr seines Schiffs und seiner Route zu sein. Ich habe trotz Lichtschutzfaktor 50 eine verbrannte Nase, ansonsten aber den Tag sehr genossen. Auch wenn die Einfahrt in den Kanal deutlich spannender war als die Ausfahrt. Ich bin froh, nicht in umgekehrte Richtung unterwegs zu sein.


Frachtschiff-Tagebuch Teil 2

Vom Suez bis nach Hamburg

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