Der lange Weg zurück – Mit dem Containerschiff um die halbe Welt – Teil 1

Der lange Weg zurück – Mit dem Containerschiff um die halbe Welt – Teil 1

18. Januar 2020 5 Von Sabine

Bis zum Mittagessen bleibe ich auf der Brücke und frage den Officer of the Watch (OOW) aus, den wachhabenden Offizier. Der Autopilot steuert uns durch die Straße von Malakka, eine der am stärksten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Später, als ich auf dem Flügel stehe, zähle ich bis zu 40 Schiffe um uns herum. Der Computer navigiert uns mit 20 Knoten und damit nicht ganz Höchstgeschwindigkeit hindurch. Auf dem Monitor erscheinen alle uns umgebenden Schiffe mit Namen, so kann man sich anfunken, falls sich die Route kreuzt und eine Absprache nötig ist, wer wem ausweicht. Die Crew läuft in Räuberzivil herum, und das nicht nur, weil Sonntag ist. Nur wenn Lotsen an Bord sind und im Hafen werden Uniformen getragen, damit Außenstehende erkennen können, wer welchen Rang hat. Ein Detail, über das ich mich herzlich amüsiere: auch wenn unser Schiff nach einem Mann benannt ist, redet die Mannschaft von „sie“, wenn das Schiff gemeint ist. Seit jeher sind Schiffe weiblich, viele tragen auch Frauennamen. Die Reederei, mit der ich unterwegs bin, hat ihren Schiffen aber die Namen berühmter Seefahrer und/oder Entdecker gegeben, Marco Polo etwa oder Alexander von Humboldt. Letzterer lässt die jeweilige Mannschaft immer verzweifeln, wenn sie den Namen im Funkkontakt mit einem Hafen buchstabieren muss …

  • Meine Kabine - netterweise mit einem japanischen Druck an der Wand

Auf ins Funkloch

In der Straße von Malakka sind aber nicht nur andere Frachtschiffe unterwegs. Wir kommen an einem winzigen Bötchen mit Anglern vorbei. Ich telefoniere ein letztes Mal mit DEM MANN, bevor die SIM-Karte aus Singapur kein Netz mehr findet – Land ist nur noch in der Ferne zu sehen. Weil es bei der Buchung hieß, es gäbe kein WIFI an Bord, habe ich überall meine digitale Abstinenz verkündet. Nun stellt sich heraus, ich könnte doch für teuer Geld Internetguthaben kaufen. Aber ich entscheide mich dagegen, es bleibt beim digitalen Detox. Nachdem ich abends meinen Sicherheitsfragebogen abgegeben habe, entdecke ich dafür eine neue Attraktion: den Sternenhimmel. Ich meine, einen echten Sternenhimmel in absoluter Dunkelheit. Ich stehe eine dreiviertel Stunde draußen und betrachte die Millionen von Sternen, die am Himmel funkeln. In der Ferne zieht zudem ein Gewitter durch, Blitze zucken dramatisch am Himmel. Und so bekomme ich vor meiner zweiten Nacht an Bord ein Abendprogramm geboten, das tausend Mal besser ist als Fernsehen oder Internet.

Tag drei an Bord, kurz nach fünf Uhr hat mich ein Gewitter geweckt. Eine Stunde lang versuche ich vergeblich, wieder einzuschlafen, dann gebe ich auf und gehe auf die Brücke. Ich weiß es noch nicht, aber der Besuch auf der Brücke noch vor dem Frühstück wird in den nächsten Wochen zu meinem Morgenritual. Der Tag wird sonnig, aber sehr windig – in Asien ist Monsunzeit. 

Hier wird das Schiff gesteuert – mit dem winzigen Joystick links oberhalb des Fernglases wird das riesige Ruder bewegt

Stippvisite im Rettungsboot 

Für heute hat der Kapitän eine Notfallübung angeordnet, damit auch die neuen Crewmitglieder für den Ernstfall gewappnet sind. Denn jeder hat bei einem Notfall eine genau festgelegte Aufgabe. Wir Passagiere müssen ebenfalls an der Übung teilnehmen. Wobei unsere Aufgabe einfach ist: niemandem im Weg stehen und tun, was man uns sagt. In unseren Kabinen hängen Helme, die wir zu dieser Gelegenheit tragen. Man kann sich hier leicht den Kopf stoßen. Nachdem wir die Crew bei einer Feuerlöschübung beobachtet haben, dürfen wir alle ins Rettungsboot. Ich hatte mich schon gefragt, wie in das kleine Ding 40 Mann reinpassen sollen. Passen sie aber. Die Sitze sind in Form eines U angeordnet, und man sitzt sich zu zweit gegenüber. Wir sind nur ein paar Minuten im Rettungsboot und die Luken sind offen, trotzdem ist es unangenehm warm darin. 

Wir Passagiere essen mit einem Teil der Mannschaft in der Offiziersmesse, und bekommen dieselben Portionen. Aber die sind für arbeitende Männer, nicht für urlaubende Frauen. Mittags und abends gibt es erst eine Suppe, die oft schon eine vollwertige Mahlzeit ist, bevor ein Hauptgang kommt. Dazu Salat und Obst, abends auch noch ein süßer Nachtisch. Alkohol dagegen sucht man an Bord vergeblich. Auf unserem Tisch steht jeden Tag eine Speisekarte, die manchmal äußerst charmante Fehler enthält. Statt einer „soup of the day“, also einer Tagessuppe, wird in den ersten Tagen immer eine „soup of the year“ angekündigt, also eine Jahressuppe. Ich gewöhne mir schnell an, vom Hauptgericht immer nur die Hälfte zu bestellen – für mich mehr als ausreichend.


Globalisierung in der Offiziersmesse

Die Reederei kauft für ihre Crews haltbare Lebensmittel dort in großen Mengen ein, wo sie günstig sind – der Versand ist ja kein Problem. Frische Ware wird in ausgewählten Häfen geladen. Unser Tisch in der Offiziersmesse wurde da schnell zur kulinarischen Weltreise:

Saft: Singapur und Griechenland
Salatsoße: Vereinigte Arabische Emirate
Marmelade: Spanien, Schweiz und Polen – aber immer Blaubeere!
Olivenöl: Niederlande
Milch: England
Haferflocken und Joghurt: Deutschland
Balsamicoessig und Ketchup: Malaysia
Mineralwasser: Frankreich


Ab jetzt wird an der Uhr gedreht

Die Mahlzeiten sind das Einzige, das meinem Tag Struktur gibt. Zwischen sieben und acht Uhr am Morgen gibt es Frühstück, allerdings lassen die meisten Mannschaftsmitglieder diese Mahlzeit ausfallen und schlafen lieber länger. Punkt zwölf gibt es Mittagessen, um 18 Uhr Abendessen. Die Crew isst schnell und redet dabei meist wenig.

Ab dem Nachmittag pfeift der Wind ums Schiff, und wir schwanken leicht. Endlich fühlt es sich nach Schiff an, bisher lagen wir sehr ruhig im Wasser. Abends schaukelt mich der Seegang in den Schlaf, aber um zwei Uhr nachts werde ich wach – die Wanduhr in meiner Kabine stellt sich mit lautem Ticken Minute für Minute auf ein Uhr zurück. Zwischen Singapur und unserem ersten Ziel Suez-Kanal liegen sechs Stunden Zeitverschiebung. Und so wird ab jetzt jede zweite Nacht die Uhr um eine Stunde zurück gestellt, so dass wir am Ende ägyptische Zeit haben. Der OOW, der die Schicht von Mitternacht bis vier Uhr morgens hat, muss damit jede zweite Nacht eine Stunde länger arbeiten. Im Gegenzug ist seine Schicht auf der Rückfahrt entsprechend kürzer. 

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