Der lange Weg zurück – Mit dem Containerschiff um die halbe Welt – Teil 1
Kaum habe ich den Pool erobert, ist es auch schon wieder vorbei damit. Weil Seegang erwartet wird, wird das Wasser abgelassen, damit es nicht durchs Schiff schwappt. Am Nachmittag nimmt uns dafür der Erste Offizier mit auf eine Tour aufs Deck. Was bedeutet: unter Containern hindurch. Rund ums Schiff ist ein Weg in Größe eines Containers ausgespart, auf dem man eine Runde drehen kann. Aber über, unter und neben uns stapeln sie sich. Elf Stück unter Deck, weitere neun über Deck. Zwanzig Container-Stapel nebeneinander, 24 Reihen vom Bug bis zum Heck. Es gibt größere Schiffe als unseres, die sind dann nicht länger, weil die Häfen momentan nicht mehr als 400 Meter bewältigen können, aber sie sind breiter.
Das Maß der Dinge im Container-Business
Gerechnet wird im Container-Business in einer Einheit namens TEU, kurz für Twenty-foot Equivalent Unit. Das Maß der Dinge ist also ein Container von 20 Fuß Länge. Auch wenn die meisten Container an Bord vierzig Fuß lang sind, also etwas über 12 Meter. Das System ist aber so aufgebaut, dass die 40-Fuß-Container nicht nur an den Ecken, sondern auch noch einmal in der Mitte Halterungen haben. So können auf einen 40-Fuß-Container zwei 20-Fuß-Container gestellte werden, auf die dann wieder ein 40-Fuss-Container kommen kann. Wir haben aber auch 45-Fuß-Container an Bord, bei denen die Halterungen entsprechend auf 40 Fuß angebracht sind. Die können aber nur über Deck gestapelt wurden, unter Deck passen die 45-Fuß-Container nicht rein.
Im Frachtraum unter Deck gibt es so etwas wie Führungsschienen, durch die die Container sauber übereinander gestapelt werden können. Ist da unten voll, verschließen riesige Stahlplatten den Frachtraum. Über Deck werden die Container mit gleich zwei Systemen vor dem Herunterfallen gesichert. Alle haben an den vier Ecken so genannte Twistlocks. Ein Teil dieser Verriegelung dreht sich nach dem Einrasten, so dass die Container für die Überfahrt miteinander verschraubt sind. Zusätzlich werden die unteren Container noch gelascht, wie das in der Fachsprache heißt, also mit Stangen verschraubt. Trotzdem kann es bei sehr hohe Seegang passieren, dass Container ins Wasser fallen. Ein bisschen ist das gewollt. Lieber verlieren die Reedereien ein paar Container als das ganze Schiff. Auf den Seekarten jedenfalls sind an vielen Stellen Warnhinweise vor verlorenen Container eingezeichnet.
Riesen auf dem Meer
Unser Schiff kann 18.000 TEU transportieren und gehört damit zu den größten Frachtschiffen auf den Meeren. Einige Frachter können inzwischen sogar knapp über 20.000 Container transportieren, und noch größere Schiffe sind bereits in Planung bzw. Bau. Für leicht verderbliche Waren hat die Kerguelen Platz für bis zu 1.200 Kühlcontainer, so genannte Reefer. Ihre Motoren brummen Tag und Nacht. Was in all den Containern auf unserem Schiff ist, weiß die Mannschaft nicht. Nur der Inhalt der Gefahrgutcontainer ist bekannt, unter anderem haben wir jede Menge Feuerwerk aus China an Bord. Ansonsten sind nur dem Absender und Empfänger der Inhalt bekannt (und zu gegebener Zeit dem Zoll). Aber nicht alles ist in Containern verpackt. In Spanien holt der Kran unter anderem Lastwagen aus dem Frachtraum unseres Schiffs, die in einem Gestell stehen, dass die Abmaße eines 40-Fuß-Containers hat, so dass es mit gestapelt werden kann, ansonsten aber offen ist.
Der achte Tag an Bord bricht an, und ich liege schon in aller Frühe wach im Bett. In der Nacht wurde zum dritten Mal die Uhr umgestellt, mein Körper kommt nicht mehr mit, ich habe ein leichtes Jetlag. Beim Aufwachen höre ich ein lautes Geräusch, das mich durch den Tag begleiten wird. Es klingt, als würde unter Deck etwas Großes, Metallenes hin und her rollen. Da rollt aber nicht wirklich etwas. Stattdessen schüttelt der Wind das Schiff und die Container. Später kann ich von der Brücke aus sehen, dass die Container-Türme leicht schwanken. Was ich da höre ist der Schiffsrumpf, der gegen das Schwanken der tonnenschweren Container arbeitet. Land ist nicht in Sicht, aber wenn man etwas sehen könnte, wäre es der Oman. Der Wind, der uns durchschüttelt, kommt aus der anderen Richtung die afrikanische Küste hoch.
„One hand for yourself, one hand for the ship.“
Alte Seemansweisheit: bei Seegang immer eine Hand frei haben, um sich festhalten zu können.
Ab in den Schutzkeller
Weil wir in Kürze an Somalia vorbei kommen, ist für heute ein weiterer Drill angesagt. An Bord gibt es eine so genannte Zitadelle oder auch Safe Room. Sollten Piraten an Bord gelangen, wird sich die Mannschaft hier verschanzen. Es gibt Wasser und Notrationen, eine transportable Toilette und Wolldecken. Der Raum ist mehr oder weniger nackt, es steht aber eine Tischtennisplatte drin und ein Boxsack hängt von der Decke. Nicht für den Notfall, sondern weil man hier an Bord den wenigen Platz gut nutzen muss. Also hält sich Mannschaft an Tagen in ruhigen Fahrwassern hier fit.
Im Falle eines Falles würden wir uns in diesem Raum einschließen und einen Notruf absetzen. Im Idealfall können die Ingenieure vorher noch dafür sorgen, dass die Piraten den Motor nicht starten können. Sollte aber auch nur ein Mannschaftsmitglied in die Hände der Piraten fallen, müssen sich alle ergeben, so die Anweisung aus der Zentrale. Ich bin die einzige Frau an Bord und überlege, ob das wohl meine Überlebenschancen erhöht? Lieber wäre mir natürlich, wie treffen gar nicht erst auf Piraten. Der Kapitän versichert, dass unser Schiff kein typisches Ziel für Piratenangriffe sei, weil wir zu groß und zu schnell sind. Die Piraten bevorzugen Öltanker. Die sind nicht so hoch und damit leichter zu entern. Und man kann das geladene Öl gut zu Geld machen.
Allem Seegang zum Trotz schmeckt das Essen noch. Nur liegt die Offiziersmesse genau da, wo man das Ächzen von Schiff und Ladung am lautesten hört. Beim Abendessen wird mir die Geräuschkulisse zu viel. Als wir mit dem Essen fertig sind, habe ich für einen kurzen Moment Panik. Es klingt, als würde das Schiff gleich auseinanderbrechen. Ich verabschiede mich schnell und flüchte auf die Brücke. Hier hört man nur das Pfeifen des Windes. Warum tue ich mir das an?! Der Ausblick von der Brücke beruhigt mich etwas. Es klingt schlimm, sieht aber gar nicht schlimm aus. Es scheint sogar die Sonne, wir haben nicht einmal ein Unwetter. Nur verdammt viel Wind.
Wow! Ich wusste bisher gar nicht, dass man so von Japan bzw Singarpur nach Deutschland reisen kann! Ich habe mich schon oft gefragt, ob und wie es wohl mit dem Schiff möglich wäre… danke für deine tollen Berichte aus Japan! Ich wohne jetzt schon seit zwei Jahren hier und konnte aus deinen Kyoto Chroniken noch sehr viel lernen!
Vielen Dank, freut mich, dass meine Beiträge Dir helfen, Japan zu entdecken.
moin + guten Tag Sabine,
ein Super und toller Reisebericht. Klasse. Ich war bis 2008 bei der Reederei APL
aus Singapur in Deutschland aber auch in Singapur selbst beschäftigt. Habe in
2007 eine Container-Schiffs-Reise von Yangshan (neuer Hafen von Shanghai)
nach Bremerhaven in genau 30 Tagen mitgemacht. Unser Schiff war sehr
spartanisch ausgerüstet und es gab wegen der rein indischen Besatzung nur
indisches Essen. Absolutes Alkohol-Verbot, kein Problem. Die Reise ging über
Singapur, Colombo, Suez-Kanal,Southampton, Antwerpen bis Bremerhaven.
Schon damals wurden wir in der Straße von Bab el Mandeb von Piraten angegrif=
fe, die aber wegen der hohe Bugwelle und Feuerlösch-Kanonen erfolgreich ab=
gewehrt wurde. Im Suez-Kanal auch Marlboro Kanal geannt, hatten wir einen
ganz alten betagten Lotsen, der aber gut + fit. Schöner Bericht und erinnert
mich an meine diversen Reisen auf nem Schachteldampfer, salopp gesagt.
Ich beneide Dich um den Sternenhimmel – den haben wir nirgends so richtig in Indien gefunden – die klaren Nächte gibts da wohl auch nur im April/Mai/Juni. Müssen wir halt noch mal nach Afrika irgendwann…
Oder auf ein Frachtschiff? ; )