Mein erster Friseurbesuch
Ich will nie wieder in einem anderen Land zum Friseur! Heute hatte ich meine Premiere in Sachen Haarschnitt à la japonaise. Und mein erstes Mal war einfach toll! Der Schnitt super, der Service exorbitant und das Gefühl, mit zarten 43 Jahren Studentenrabatt aufgedrängt zu bekommen, einfach unbezahlbar.
Der allererste Beitrag in meiner Rubrik wörtlich war der zum schönen japanischen Ausdruck age otori oder der Reue nach einem Friseurbesuch. Ein Land, das solche Worte erfindet, sollte vielleicht lieber die Friseurausbildung neu strukturieren. Mit gemischten Gefühlen bin ich daher heute zu meinem Friseurtermin erschienen – und der Laden heißt dann ausgerechnet auch noch Oops! hair. Hoffentlich oopsen da die Friseure nicht dauernd, weil sie sich verschneiden.
Die Business Class des Haare Waschens
Ich bin 10 Minuten vor dem Termin da, aber meine Friseurin wartet schon. Natürlich. Den Kunden warten zu lassen käme nicht in Frage. Ich werde zum Waschen geleitet. Kaum sitze ich, wird ein Badetuch über meinen Schoß gebreitet, damit ich nicht friere. Bei schwülen 36 Grad eher unwahrscheinlich, aber die Geste zählt. Dann sagt die Friseurin irgendwas, was wohl so viel wie „jetzt geht’s los“ bedeutet – und der Stuhl verwandelt sich in einen Liegesessel. Es ist ein bisschen wie Business Class im Flugzeug, nur mit mehr Waschbecken im Nacken. Damit ich nicht gegen die Deckenleuchte anblinzeln muss, bekomme ich sanft ein Tuch über die Augen gelegt. Dann werden meine Haare gewaschen.
Nach dem Waschen wird zuallererst das Wasser aus meinen Ohren getupft. Vier Jahrzehnte habe ich mir beim Friseur immer das Wasser aus den Ohren schütteln müssen, und nun diese Offenbarung! Es geht rüber zum Schneiden. Die Dame steht mit dem Umhang da und wartet auf irgendwas. Und ich weiß nicht, was. Bis mir aufgeht: der hat Ärmel! Ich soll meine Arme ausstrecken. Kein Gefummel unterm Umhang hervor, um an die Kaffeetasse zu kommen. Keine Entmündigung erwachsener Menschen durch Kokon-ähnliche Kleidung. Es gibt Ärmel!
Drei Zeitschriften materialisieren sich vor mir, schön aufgefächert und extra für mich ausgesucht. Dann wuselt meine Friseurin in Frisurenbüchern rum. Ich habe nämlich in meine Babyjapanisch und mit Handzeichen erklärt, dass ich es im Nacken gerne kürzer hätte, denn es ist seit Wochen verdammt warm in dieser Stadt. Und bei mir damit vor allem warm im Nacken. Und da die Friseurin im Gegenzug nur Babyenglisch spricht, zeigt sie mir nun ein Foto von einer im Nacken stufig geschnittenen Friseur. So? Ja, so! Wir Frauen verstehen uns.
Spa-Paket inklusive
Beim Kämmen bleibt die Friseurin in einem meiner Ohrringe hängen. Noch bevor ich beide Ohrringe rausgenommen habe, reicht sie mir ein hübsches Schälchen, in das ich mein Geschmeide legen kann. Jetzt wird es ernst, sie greift zur Schere. Hoffentlich haben wir Frauen uns wirklich verstanden. Sie schneidet ein paar Strähnen ab, dann schaltet sie den Föhn ein. Ähäm, das war es doch wohl noch nicht? War es nicht. Sie föhnt meine Haare trocken, schneidet dann und … geleitet mich nochmal in die Business Class. Die Haare werden nach dem Schneiden nochmal ausgewaschen (volles Programm mit Kuscheldecke, Scheuklappen und Ohrentupfen) und dann erst richtig geföhnt. Vor dem Föhnen aber bekomme ich eine Kopf- und Nackenmassage. Herrlich!
Nachdem wir uns bisher nur über den Spiegel angelächelt haben, stellt sie mir nun eine Frage, die ich auf Anhieb verstehe. Wie lange ich schon in Kyoto bin. Ich radebreche, dass ich seit Juli hier bin und für ein Jahr bleibe, um Japanisch zu lernen. Oh, sagt sie, dann bin ich also Studentin. Ich sage mal ja, weil für die lange „ich habe ein Jahr unbezahlten Urlaub und eigentlich einen große-Mädchen-Job“-Erklärung reicht es dann doch nicht. Hai, gakusei desu. Ja, ich bin Studentin.
Ihr fällt beim Föhnen der Kamm runter. Sie hebt ihn auf, wirft ihn direkt auf einen Tisch hinter sich und nimmt einen neuen. Mit einem Kamm vom Boden geht man nicht durchs Haar einer Kundin! Wenig später hat es sich ausgeföhnt und ich stehe auf, um Richtung Kasse zu gehen. Der Friseurkollege, der mit einer anderen Kundin auf dem Stuhl nebenan beschäftigt ist, wirft sich mir halb in den Weg und dankt mir mit einer kleinen Verbeugung für meinen hochgeschätzten Besuch in diesem bescheidenen Etablissement.
An der Kasse fragt die Friseurin nochmal gakusei desuka? Ob ich Studentin bin. Ich sage ja, schließlich habe ich ein Studentenvisum. Woraufhin sie fröhlich 10 Prozent Studentenrabatt von dem ohnehin schon mehr als fairen Preis abzieht. Oops! Ich komme wieder.
Na, das klingt ja nach einem Wohlfühlprogramm der besonderen Art, Frau Studentin 😉
Übrigens: Bei meiner Friseurin bekomme ich nach dem Haarewaschen auch immer das Wasser aus den Ohren getupft…
Aber dennoch muss man sagen: Toller Service, den Du da geboten hast! Sowas bekommt man hier so nicht.
Ja, in Japan bekommt der Ausspruch „Deutschland, Servicewüste“ (gern auch durch andere EU-Mitgliedstaaten zu ersetzen!) so eine ganz neue Qualität. Bei meinem Besuch in Tokio durfte ich beobachten (leider nicht selber erleben) wie die Frisörin der Kundin die Tür öffnete, und sich zig mal verbeugend von ihr verabschiedete, und zwar obwohl die Kundin sie gar nicht sah und bis die Kundin nicht mehr zu sehen war. Erst dann ging sie wieder ins Geschäft zurück. Das ist doch was ganz anderes als „Tach auch“!
PS: beonders freue ich mich auf einen künftigen Post zum japanischen Stillen Örtchen. Wenn bislang noch nicht klar geworden sein sollte, welch Galaxien uns Europäer im Alltag von den Japanern trennt, spätestens dann sollte es jedem klar geworden sein!!
Ach, das Stille Örtchen wollte ich eigentlich auslassen, weil wirklich jedes Buch über Japan darauf eingeht. Kann man dazu noch etwas Neues sagen?