Gion Matsuri
Schon seit Wochen hat sich Kyoto auf diesen Tag vorbereitet: Gion Matsuri. Seit über 1.000 Jahren werden bei diesem Fest prächtig geschmückte Wagen von (mehr oder weniger jungen) Männern durch die Straßen gezogen. Besondere Herausforderung: Da die Wagen keine Lenkung haben, müssen sie an den Straßenecken mit Muskelkraft und stückweise gedreht werden.
Der Ursprung des Festes geht auf das Jahr 869 zurück, als eine Seuche im Land wütete. Der Kaiser ordnete Gebete im Yasaka Schrein in Kyoto (damals Hauptstadt des Landes) an und und ließ 66 prächtige Wagen erbauen, einen für jede der damaligen Provinzen Japans. Die Seuche wurde besiegt und das Land feierte mit einer Parade eben dieser Wagen. Um 970 hat sich daraus ein großer, alljährlicher Festumzug entwickelt, der seither nur in Krisenzeiten ausgesetzt wurde. Aus dem ursprünglich rein religiösen Fest wurde zunehmend auch eine Leistungsschau des Handwerks, das seine Künste an und auf den Wagen zeigte. Reiche Kaufleute finanzierten zudem immer größere und prächtigere Wagen mit Musikern, Tänzern und Schauspielern.
Heutzutage nehmen rund 30 Festwagen an der Parade teil. Die großen, doppelstöckigen wiegen dabei bis zu 10 Tonnen. Während oben rund 20 Musiker traditionelle Lieder spielen, werden die Wagen von bis zu 50 Mann gezogen. Dirigiert werden sie dabei von den Herren mit Fächern vorn auf dem Gefährt.
Wir haben extra schulfrei bekommen (müssen dafür aber zum Ausgleich an einem anderen Feiertag die Schulbank drücken), so ernst ist die Sache. Das Spektakel geht um 9:00 Uhr los, da sind es schon über 30 Grad. In regelmäßigen Abständen stehen am Rand Stände, von denen aus Freiwillige die Teilnehmer mit Getränken versorgen. Die Rollenverteilung ist klar: Auf und vor den Wagen sind ausschließlich Männer zu finden. Die Getränke werden dagegen überwiegend von Frauen ausgeschenkt.
Wie kriegt man nun 10 Tonnen ohne Lenkung um die Ecke? Mit einer ausgefeilten Technik und drei Mal kräftig ziehen. Zuerst werden Holzlatten auf den Boden gelegt, auf denen der Wagen zum Stehen kommt. Dann müssen die Herren vor dem Wagen im richtigen Winkel positioniert werden. Die fächerschwingenden Verkehrslotsen geben dann äußerst kunstvoll das Kommando für einen heftigen Ruck. Genau im Moment des Rucks müssen die ausgelegten Latten mit Wasser begossen werden. Denn wie lautet der erste Hauptsatz der Thermodynamik? Reibung erzeugt Wärme (jedenfalls in der etwas verkürzten Darstellung)! Während der ganzen Aktion spielen die Musiker übrigens fehlerfrei weiter, mag der Wagen dabei auch noch so wackeln.
Wenn man diese Verfahren drei Mal anwendet, bekommt man den 10-Tonnen-Wagen schrittweise um 90 Grad gedreht und damit um die Kurve. Kein Wunder also, dass sich besonders an den beiden Ecken des U-förmigen Parcours das Publikum sammelte und die Anstrengungen der Teilnehmer mit Jubel und Applaus belohnte.
Wie in Japan nicht anders zu erwarten, ist alles rund um das Fest hervorragend geregelt. Damit man trotz der Zuschauer noch auf den Bürgersteigen gehen kann, gibt es eigens Personal, das nur dazu da ist, dafür zu sorgen, dass eine Gasse freigehalten wird. Auch an den Treppen zu den U-Bahn-Stationen entlang des Weges stehen freundliche Damen und Herren, die immer wieder darum bitten, dass die Zugänge zu den Stationen frei gehalten werden. Die Polizisten, die die Straßen und Übergänge sperren, tun dies überaus höflich und nur so lange es wirklich nötig ist. Die ersten Wagen waren in der Ferne schon zu sehen, da fuhren in der Mitte der Strecke noch die Linienbusse durch.
Schon an den drei Abenden vor dem Fest wurde im Viertel gefeiert, was das Zeug hält. Die Festwagen standen bereits in den Nebenstraßen bereit, und für einen kleinen Obolus konnte man hinaufklettern. Das habe ich selbstverständlich gemacht und muss sagen: viel Platz ist da oben nicht. Das Fest ist übrigens noch nicht vorbei, nächste Woche geht der Zug etwas verkürzt nochmal in die andere Richtung. Dann wird an jeder Ecke wieder fleißig gezogen und gejubelt.