Bei den Mönchen vom Koyasan
Nachdem ich über den alten Pilgerweg zwischen bemoosten Steinlaternen und teils verfallenen Gräbern hindurch spaziert bin, komme ich endlich zum Heiligtum. Hunderte kleine Laternen hängen an der Decke der Halle und leuchten sanft. Ein Mönch sitzt vor der zentralen Statue und singt mit monotoner Stimme. Etwas weiter rechts kniet ein zweiter Mönch vor einem offenen Feuer, in das er im Rhythmus des Gesangs Räucherwerk wirft. Die Stimmung könnte wunderbar mystisch sein. Wenn da nicht die Tische mit Neonbeleuchtung rechts und links wären, an denen Mönche gegen klingende Münze Amulette verkaufen und Pilgerstempel ausstellen. Und nebenbei telefonieren. Herzlich willkommen auf dem Berg Koyasan, wo die Tempel WIFI haben und die Mönche Kreditkarten akzeptieren.
Der Koyasan auf der Kii-Halbinsel ist eines der bedeutendsten buddhistischen Zentren Japans. Im Jahr 815 wurde dem Mönch Kōbō Daishi vom Kaiser das Areal auf dem Berg überlassen, um dort ein Kloster zu bauen. Heute beherbergt der Koyasan 117 buddhistische Tempel, ein Mausoleum für Kōbō Daishi sowie eine Straße mit Souvenirläden und Restaurants. Touristen aus aller Welt zieht es ebenso hierher wie Japaner auf Wochenendausflug. Denn 52 der Tempel öffnen ihre Türen für Besucher, die hier übernachten und exklusives vegetarisches Essen genießen können. Und wer nun glaubt, eine Nacht in einem fast leeren Zimmer mit Gemeinschaftsbad und fleischfreiem Abendbrot wäre günstig zu haben, sollte besser umplanen. Denn die Mönche lassen sich den Service teuer bezahlen.
Erleuchtung nach Fahrplan
Es ist Hauptreisezeit in Japan, denn die ersten Kirschen blühen schon, und das wollen alle sehen. Für meinen Ausflug auf den Tempelberg suchte ich eine Unterkunft für zwei Nächte – und fand keine. Denn ganze Reisegruppen checken hier ein. Weswegen viele Tempel von vorne klein aussehen, nach hinten raus aber noch großzügige Anbauten mit Gästezimmern im traditionellen Stil haben. Aber wenn ich zwei Nächte auf den Berg will, dann gehen ich auch zwei Nächte auf den Berg. Da einzelne Nächte hier und da noch zu haben waren, miete ich mich kurzerhand in zwei verschiedenen Tempeln für je eine Nacht ein. Was sich als Glücksgriff erweist. Denn so kann ich bei zwei morgendlichen Tempelzeremonien dabei sein und gleich zwei Heiligtümer von innen erkunden.
Auch spirituelle Erleuchtung ist in diesem Lande gut organisiert. In Osaka erwerbe ich ein Kombiticket für den Zug zum Berg, die Seilbahn den Berg hinauf und die Linienbusse auf dem Berg, die selbstredend alle fahrplanmäßig aufeinander abgestimmt sind – nehmt das, Ihr deutschen Verkehrsbetriebe mit Euren kundenfeindlichen Zonengrenzen und vor der Nase abfahrenden Verbindungen! Beim Verlassen der Seilbahnstation laufe ich direkt auf einen Mitarbeiter des Busbetreibers zu, der die Ankömmlinge auf die richtigen Busse verteilt. Die 21 Haltestellen haben hier nicht nur einen Namen, sondern sind auch noch durchnummeriert. Prospekte führen für die Sehenswürdigkeiten ebenso wie für die 52 Tempelunterkünfte die jeweilige Nummer der passenden Haltestelle auf.
Für meine erste Nacht auf dem Weg zur Erleuchtung habe ich den Fukuchi-in Tempel gebucht. Von dort aus sind es zu Fuß nur ein paar Minuten zum Danjo Garan Tempelkomplex, einer der Hauptattraktionen hier oben. Meine Unterkunft sieht innen recht modern aus, obwohl die prachtvoll bemalten Schiebetüren erahnen lassen, dass sie in Wahrheit schon sehr alt ist. Alles ist gut gepflegt, es gibt zwei heiße Bäder und einen großen Garten. Das Personal ist zahlreich, größtenteils weiblich und spricht verhältnismäßig gut Englisch, mit mir aber verhältnismäßig schnelles Japanisch. Ich fühle mich angesichts des Service wie in einem hochpreisigen Hotel – und beim Blick auf die Kreditkartenabrechnung erst recht … Im Zimmer steht, wie hier üblich, kein Bett. Später am Abend wird ein Futon für mich ausgerollt. Bis 17:30 Uhr müssen die Gäste eingecheckt haben. Wer danach nochmal raus geht, sollte bis 21 Uhr zurück sein. Dann wird das Tempeltor abgeschlossen. Aber eine frühe Nachtruhe empfiehlt sich ohnehin, denn um 6 Uhr startet die Morgenzeremonie der Mönche, an der die Gäste teilnehmen können.
Auf Socken gen Nirwana
Weil es keine Duschen gibt, starte ich den Tag im obligatorischen heißen Bad. Um kurz vor halb sechs habe ich es ganz für mich alleine. Dann geht es zum Beten. Am Eingang zum Tempel werden grundsätzlich die Straßenschuhe gegen Pantoffeln getauscht, aber auch die müssen im Hondo, der Haupthalle des Tempels, draußen bleiben. Auf Socken betreten die Besucher das Heiligtum, die Mönche tragen prachtvolle Roben. Einer stimmt den typischen Sprechgesang an, zwei weitere Mönche stimmen ein. Der Abt singt etwas anderes dagegen an. Etwas später wird auch noch ein Gong geschlagen. Durchaus meditativ, so auf nüchternen Magen. Leider brummt das Gebläse des XXL-Heizlüfters gegen die Mönche an. Was ist aus der guten alten Zeit geworden, als der Weg ins Nirvana mit Entbehrungen gepflastert war? Nach dem Ende der etwa halbstündigen Zeremonie dürfen wir einmal durch die Halle gehen, an deren Ausgang diverse Devotionalien zum Verkauf angeboten werden.
Auschecken muss ich bis 9 Uhr. Ich bringe meinen Rucksack direkt in Tempel Nummer zwei, dem Sekishou-in am anderen Ende des kleinen Ortes. Hier zahle ich nur etwas mehr als die Hälfte von dem, was der Fukuchi-in in Rechnung stellt. Allerdings sieht der Tempel auch weniger schick aus von innen, und der Check-in-Mönch ist etwas robuster als die Damen am Tag zuvor. Aber er freut sich ehrlich, mit mir Japanisch sprechen zu können (so lange er mal keine elaborierten Antworten erwartet), zeigt mir die Räume, verweist stolz auf die bemalten Schiebetüren aus der Meiji-Zeit (1886-1912) und schenkt mir eine Art Freunschaftsbändchen. Am nächsten Tag sehe ich, dass die üblicherweise nach dem Morgenritual für 300 Yen verkauft werden. Mein sündhaft teurer Japanischkurs hat damit die ersten 2,40 Euro Rendite eingefahren!
Direkt hinterm Tempel startet der traditionelle, etwa 30-minütige Weg zum Mausoleum von Kōbō Daishi. Der, wie ich lerne, nicht für tot gehalten wird. Stattdessen geht man davon aus, dass er in einen Zustand ewiger Meditation eingetreten ist. Entlang des Weges liegen über 200.000 Gräber, manche sehr alt, manche relativ neu. Und einige mit Firmenwerbung, vor allem im neueren Teil des Friedhofes, durch den die Touristen gehen, die die Abkürzung nehmen und direkt mit dem Reisebus vorfahren. Nissan hat hier zum Beispiel ein Grabmal, ich vermute für verstorbene Mitarbeiter. Ich sehr noch mehr Logos, auf einem Grab steht sogar eine riesige marmorne Kaffeetasse mit dem Schriftzug eines japanischen Kaffeeproduzenten.
Tempelküche auf Lacktablett
Während im Fukuchi-in Abendessen und Frühstück zu meiner Wunschuhrzeit auf dem Zimmer serviert werden, herrschen im Sekishou-in andere Sitten. Alle Gäste müssen zur vorgegebenen Uhrzeit im Speisesaal gemeinsam essen. Und das heißt, dass es das Abendbrot um 17:30 Uhr gibt. Die Gäste sitzen sich in zwei Reihen gegenüber, vor uns stehen Lacktabletts mit dem rein vegetarischen Menü. In kleinen Töpfchen und Schälchen werden Gemüse und Tofu kunstvoll arrangiert. Dazu gibt es reichlich Reis, Tee und Misosuppe.
Am nächsten Morgen können die Gäste auch hier an der Zeremonie teilnehmen, die eine Stunde später startet als am Tag zuvor. Die Mönche im Sekichou-in tragen schlichtere Roben als im Fukuchi-in, der Text des Sprechgesang wird vor Beginn ausgeteilt. Während drei Mönche singen, lässt ein vierter die Besucher in kleinen Gruppen Räucherwerk verbrennen und erklärt über den Gesang hinweg die Geschichte des Tempelbergs. Dann bietet er die Freundschaftsbändchen zum Verkauf an, bevor wird schließlich alle in den Gesang einstimmen sollen. Das Ganze wirkt auf mich ziemlich touristisch und ist weit weniger stimmungsvoll als am Vortag.
Über Nacht hat es einen Kälteeinbruch gegeben, der Morgen beginnt mit Schneeregen. Meine Schuhe standen die Nacht über – wie hier üblich – im Regal vor der Tempeltür und sind eiskalt. Ein bisschen muss man also doch leiden, für die Erleuchtung. Der Regen macht meine Pläne von einer Wanderung auf dem alten Pilgerpfad für Frauen zunichte. Da ich ansonsten alles, was in immerhin vier verschiedenen Broschüren als sehenswert empfohlen wurde, an den beiden Tagen zuvor abgearbeitet habe, mache ich mich mit der ersten Seilbahn des Tages auf den Heimweg. Schon im Bus zur Seilbahnstation ist es vorbei mit meditativer Stille, er ist proppenvoll, man hört Japanisch, Englisch, Russisch, Deutsch, Französisch, Spanisch. Gemessen daran, dass in den beiden Tempeln, in denen ich zu Gast war, nur jeweils vier Mönche residieren, habe ich das Gefühl, dass die Touristen gegenüber den Jüngern Buddhas bei weitem in der Überzahl sind. Die Beliebtheit des Berges als Reiseziel dürfte damit Fluch und Segen zugleich sein.
wie viele Schlafgäste kommen denn so per Tenpel ?
Ich schätze mal 100 oder mehr können es schon sein.