16 Sekunden, die Kobe erschütterten
Es dauerte gerade einmal 16 Sekunden, das Erdbeben, das am frühen Morgen des 17. Januar 1995 Kobe und die Umgegend erschütterte. Aber diese 16 Sekunden haben – zusammen mit einigen Nachbeben – weite Teile der Stadt in Schutt und Asche gelegt. Über 6.400 Menschen verloren damals ihr Leben, fast 250.00 Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört. Überall in der Stadt brannte es lichterloh. Den Schrecken dieser Nacht, die Welle der Solidarität, die danach folgte, aber auch den langsamen Wiederaufbau – all das kann man heute sehr anschaulich in einem Museum in Kobe nacherleben.
Das Epizentrum des Bebens mit der Stärke 7,3 lag nur 20 Kilometer von Kobe entfernt. Es war 5:46 Uhr in der Früh, als sich die Kontinentalplatten unter Japan mal wieder bewegten. Welche Auswirkungen das auf die Stadt hatte, das zeigt eine unter die Haut gehende 7-minütige Videoinstallation, mit der der Rundgang durch das Museum startet. Diese Mischung aus Fotos, Videos aus Überwachungskameras und nachgestellten Szenen zeigt, wie Häuser zusammenbrechen, die Pfeiler der Hochstraße nachgeben, Züge im Bahnhof aus den Schienen gehoben werden und Kräne im Hafen umstürzen. Man verlässt den Filmsaal durch eine andere Tür, als man ihn betritt. Und diese Tür führt in eine Straße, die so aussieht, wie es nach dem Beben in Kobe aussah. Zerstörte Häuser, demolierte Autos – man wähnt sich in der Apokalypse.
Nach dem Beben
Es geht in den nächsten Filmsaal. Aus der Perspektive eines jungen Mädchens werden die Wochen und Monate nach dem Beben beschrieben. Das Leben in der Notunterkunft, die Solidarität der Helfer aus ganz Japan, der Wiederaufbau der Stadt. Was leise anklingt: die psychische Belastung der Überlebenden. Die Frage, warum gerade sie, aber nicht Familienangehörige, Freunde oder Nachbarn überlebt haben. Aber noch etwas ist in diesem Film zu spüren. Ich habe mehrfach davon gelesen, dass Japaner die Naturgewalten in ihrem Land mit einem gewissen Gleichmut hinnehmen, weil sie schon immer Teil des Alltags waren. Erdbeben, Taifune, Vulkanausbrüche – all das gehört hier mit zum Leben. In der Art, wie man die Ärmel hochkrempelt und die Stadt einfach wieder aufbaut, kommt genau das durch.
Eine Etage tiefer geht es in die eigentliche Ausstellung. Eine ältere japanische Dame spricht uns an. Sie ist ehrenamtliche Helferin hier im Museum, spricht sehr gut Englisch und hat das Erdbeben selber erlebt. Sie beschreibt, wie sie erst gar nicht an ein Beben glaubte. Denn Kobe war 400 Jahre von großen Erdbeben verschont geblieben, und sie wuchs auf in dem Glauben, dass das auch so bleibt. Ihr erster Gedanke war daher, dass ihr Haus von einer Gasexplosion erschüttert worden sei, nicht von einem Erdbeben.
Die Ausstellung zeigt unter anderem das Ausmaß der Zerstörung und wie die Menschen nach dem Beben in Notunterkünften lebten, zum Teil bis zu fünf Jahre lang. Deutlich wird aber auch, wie eng die Menschen nach dem Beben zusammenrückten. 1,38 Millionen Freiwillige halfen in Kobe und der Umgegend den Erdbebenopfern. Architekten aus ganz Japan inspizierten Häuser, um zu entscheiden, ob sie noch bewohnbar oder einsturzgefährdet sind. Ein Marineschiff ankerte im Hafen und kochte quasi rund um die Uhr warme Mahlzeiten. Und weil heißes Wasser in der Stadt knapp war, schickten die Betreiber von Onsen (Badeorten mit heißen Quellen) Tankwagen mit heißem Wasser, damit zumindest Babys und kleine Kinder in den Notunterkünften baden konnten.
Bauen für die Zukunft
Ein Teil der Ausstellung widmet sich aber auch der Frage, wie man zukünftig so bauen kann, dass Häuser bei Erdbeben nicht direkt einstürzen. Hier wird es praktisch, und man kann zum Beispiel verschiedene Stahlkonstruktionen in einer Erdbebensimulation darauf testen, wie sie die Erdstöße absorbieren. Nebenan steht eine Puppenstube, die von einem Erdbeben durchgerüttelt wird. Die Betten wandern durchs Zimmer, Türen und Schränke öffnen sich. Tatsächlich, so erklärt uns die ehrenamtliche Helferin, gibt es seit dem Beben neue Bauvorschriften, die Gebäude sicherer machen sollen. Zum Abschluss der Ausstellung lernen wir noch, wie jeder einzelne sich auf ein Beben vorbereiten kann. Hier gibt unter anderem Checklisten, um einen Notfallrucksack zu packen und daheim Vorräte anzulegen.
Die Ausstellung über das Erdbeben ist zu Ende, aber gegenüber bietet das Museum seit kurzem noch eine 3D-Dokumentation zum Tsunami von 2011. Die Atomkatastrophe von Fukushima taucht in dem fast halbstündigen Film nicht auf, aber die Bilder der zerstörenden Wellen sind deswegen nicht weniger verstörend. Der Film folgt einzelnen Menschen, deren Leben durch diese Naturkatastrophe für immer verändert wurde. Eine Etage höher kann man anschließend in einem Tsunami-Simulator um sein Leben rennen. Die erste Regel bei einer Tsunamiwarnung: sofort höher liegendes Gelände erreichen. Zum Beispiel ein hohes Gebäude. Im Simulator muss ich dabei gegen einen virtuell steigenden Wasserpegel ankämpfen, der jeden Schritt zu einer Herausforderung macht. Und eines wird schnell klar: hier zählt wirklich jede Sekunde.
Praktische Informationen
Das Museum ist Teil einer Einrichtung mit dem etwas sperrigen Namen Disaster Reduction and Human Renovation Institution, die sich mit Katastrophenprävention und -management beschäftigt. Es liegt ein bisschen außerhalb des Zentrums. Das Institut/Museum hat eine Website, auf der man auch einen Ausschnitt aus dem Erdbebenfilm sehen kann. Hier findet man auch ausführliche Anreiseinfomationen. Einschließlich des Tsunamifilms sollte man zweieinhalb bis drei Stunden für den Besuch einplanen – und sie lohnen sich!
Es gibt zudem im Hafen ein Denkmal für die Erdbebenopfer, das vor allem aus einem Stück Uferpromenade besteht, die so belassen wurde, wie sie nach dem Erdbeben aussah (großes Bild ganz oben). Zum Gedenken an die Erdbebenopfer findet zudem jeden Dezember das Lichterfest Kobe Luminarie statt (links).