Kyoto Sightseeing: Durch die Tore von Fushimi Inari
Jeder hat so seine Sehnsuchtsorte. Als ich vor fünf Jahren das erste Mal in Kyoto war, haben es mir die zinnoberroten torii vom Fushimi Inari Taisha Schrein besonders angetan. Sie stehen für mich – zusammen mit dem von blühenden Kirschbäumen gesäumten Philosophenweg – für Kyoto. Es ist daher kein Zufall, dass ich die torii als Titelbild für meinen Blog gewählt habe. Lange schon wollte ich auch über den Schrein schreiben – aber ja, irgendwas ist immer. Jetzt aber!
Vier Mal war ich in den letzten Wochen schon am Schrein, und auf den ersten Metern bekomme ich immer die Krise. Hier drubbeln sich die Touristen, die Fotos von den torii und vor allem von sich selber schießen wollen. Zum Glück gehen die meisten nicht weit, so dass man nach ein paar hundert Metern weiter den Berg hinauf aufatmen und die Atmosphäre genießen kann. Denn dicht an dicht stehen die torii vor allem im unteren Teil. Weiter oben gibt es Lücken dazwischen, und man findet dort Dutzende kleiner und kleinster Schreine am Wegesrand. Die zinnoberroten Tore kommen auch in handlicheren Größen, und so sind diese kleinen Schreine oft gut bestückt mit torii. An viele Stellen finden sich zudem Brunnen mit hölzernen Schöpfkellen für die rituelle Reinigung vor dem Beten. Der Weg schlängelt sich durch einen dichten Wald den Berg hinauf, und man kann fast vergessen, dass man in einer Großstadt ist.
Ganz bestimmt nicht Zen
Ich stehe an einer Weggabelung, die mit kleinen Schreinen gesäumt ist. In einem hat jemand Räucherstäbchen angezündet. Ein junger Engländer erklärt seiner Freundin großspurig „this is so Zen“. Nein, ist es nicht. Zen ist Buddhismus, wir sind hier aber in einem Shinto-Schrein. Falsche Religion, mein Freund. Der Schrein ist der Hauptschrein von 30.000 Inari-Schreinen in ganz Japan. Verehrt wird hier bereits seit dem Jahr 711 der Gott Inari Okami, der für eine reiche Ernte, Handel, Wohlstand und das Wohlergehen der Familie zuständig ist. Sein Diener beziehungsweise Bote ist ein Fuchs. Deswegen sind hier auch an allen Ecken Fuchsstatuen zu finden. Einige tragen prächtige Lätzchen aus Brokat. Anderen haben freundliche Menschen ein Mützchen gestrickt, damit sie keine kalten Ohren bekommen.
Noch ist es aber warm, streunende Katzen liegen in der Oktobersonne und stören sich nicht an den Touristen, die sie knipsen. Die Taifune der letzten Wochen haben sichtbare Spuren hinterlassen. Man sieht nicht nur umgestürzte Bäume und jede Menge Äste, die der Wind abgerissen hat. Auch einige ältere Tore haben die Windstöße nicht überlebt. Ich sehe an vielen Stellen Lücken, und aus dem Fundament der Pfeiler ragen oft noch Holzstücke. Ab und zu hört man eine Säge im Wald, die Aufräumarbeiten laufen.
Etwas weiter den Berg hinauf gibt es einen Aussichtspunkt, der einem einen Blick auf Kyoto ermöglicht. Die Hochstraße quer durch die Stadt sieht futuristisch aus. Eine Gruppe Jungen in Schuluniform erreicht den Absatz mit Ausblick. Sie rufen auf diese typisch japanische Art laut Oooh! und zücken die Mobiltelefone für Fotos. Eine ganze Reihe Schulklassen ist hier auf Ausflug. Das ist weit weniger romantisch, als es klingt. Es gibt im Japanischen dafür das schöne Wort kengaku, das sich aus den Schriftzeichen für sehen und studieren zusammensetzt. Der zweite Teil ist der entscheidende, denn am Ende eines solchen Ausfluges wird ein Referat geschrieben. Nicht selten sieht man in Museen Schulkinder in der Ecke sitzen und fleißig Notizen in ihr Heft schreiben. Wer dagegen einfach nur so rumreist wie ich, der muss sich dafür anderer Vokabeln bedienen, wurde uns im Unterricht ausdrücklich beschieden. Obwohl, ich blogge doch, gillet das nicht als Studienreise?
Ein Wunsch – ein Tor
Rund 10.000 torii in verschiedenen Größen stehen auf dem Gelände, verkündet ein Faltblatt des Schreins. Sie werden aufgestellt, wenn jemand seinen Dank für Wohltaten der Götter zeigen will, oder aber verbunden mit einem Wunsch, den die Götter dann hoffentlich gewähren. Die zinnoberrote Farbe gilt als glücksbringend. Auch Firmen haben torii gesponsert, wie die Beschriftung zeigt. Daran lässt sich wunderbar sehen, wie sich die Bedeutung eines Gottes im Laufe der Jahrhunderte wandeln kann. Angefangen hat Inari Okami als Verantwortlicher für die Reisernte. In einem Land, in dem die Steuern früher in Reis bezahlt wurden, so dass das Getreide auch ein Indiz für Wohlstand war, ein verantwortungsvoller Job. Ich habe schon vier verschiedene Worte für Reis gelernt, und es gibt wahrscheinlich noch mehr. Das Wort für gekochter Reis, gohan, bedeutet zugleich auch Mahlzeit oder Essen, und steckt in den Worten für Frühstück, Mittag- und Abendessen.
Mit der Industrialisierung war Reis nicht mehr das Maß der Dinge, und Inari Okami wurde zunehmend von Händlern und später Unternehmern als Gott für wirtschaftlichen Erfolg verehrt. Der Yen ist der neue Reis, sozusagen. Wenn hier eine Firma ein torii aufstellt, hofft sie, dass sie zukünftig gute Geschäfte macht. Die Preisliste für die Tore hängt gleich mehrfach entlang des Wege aus (und geht bis umgerechnet 10.000 Euro). Der Fuchs als Bote passt gut zu den Ursprüngen als Reisgott, denn Füchse ernähren sich unter anderem von Mäusen. Und die will man im Getreidespeicher nicht haben. Den Schlüssel zum Speicher hat der Fuchs auch gleich, viele der Statuen auf dem Gelände halten ihn im Maul.
Der Gipfel, den man schnell mal verpasst
Jetzt aber auf zum Gipfel. Ganz nach oben gehen nur die wenigsten, viele drehen spätestens am Aussichtspunkt mit dem Blick auf Kyoto um. Der Reiseführer spricht davon, dass man drei bis vier Stunden für die Tour nach oben und zurück einplanen muss. Ich schaffe die Runde üblicherweise in zwei Stunden. Und ich rennen nun wahrlich nicht den Berg hoch. Ich bleibe aber auch nicht an jeder Ecke stehen, um ein Foto zu machen. Jedenfalls nicht mehr. Stehen bleiben muss ich heute kurz an einer Baustelle. Ein neues torii wird errichtet. Und zwar ohne Maschinen, die würden nicht in den Wald kommen. Muskelkraft ist gefragt. Die Tore kommen als eine Art Bausatz: die beiden Pfeiler, darauf dann der Querbalken. Das kupferne Dach kommt in zwei Teilen. Die Herausforderung ist es, all das auf dem kleinen Raum zwischen zwei anderen torii aufzustellen. Ein halbes Dutzend Männer müht sich damit sichtlich ab.
Oben angekommen, genieße ich den Blick in den Augen der Touristen. Ich nehme an, so habe ich beim ersten Mal auch geschaut. Denn der Schrein auf dem Gipfel ist recht unscheinbar (rechts). Damit ihn keiner verpasst, hängt hier ein Schild in mittelprächtigem Englisch, das verkündet, dass man gerade den Gipfel erreicht hat. Der Hauptschrein von Fushimi Inari steht unten, direkt am Eingang, und ist prächtig geschmückt. Hier oben dagegen ist nicht einmal das torii zum Gipfelschrein farbig. Die Touristen machen schnell ein Foto und marschieren dann zurück. Die Japaner nehmen sich Zeit zum Beten und zünden gerne auch eine Kerze an. Ich bummle ein bisschen um den Schrein, der von Dutzenden kleineren Schreinen umgeben ist, auf denen sich ebenfalls kleine torii stapeln. Dann mache ich mich auf den Rückweg. Mir kommen mehrere ältere Herren entgegen, die auf ihrem Rücken kartonweise Getränkeflaschen den Berg rauftragen. Irgendwie müssen die Läden weiter oben ja an ihre Waren kommen. Hier fährt keiner mal eben von hinten mit dem Geländewagen ran. Stattdessen scheint die Zeit ein bisschen stehen geblieben zu sein. Man kann sich wunderbar vorstellen, wie hier schon vor hunderten von Jahren die Pilger mit Sack und Pack den Berg hinauf gestiegen sind. Auch das macht den Reiz von Fushimi Inari aus.
Praktische Informationen
Der Schrein ist rund um die Uhr geöffnet und der Zugang ist gratis. Es lohnt sich, zu einem Festival vorbeizuschauen. Denn Fushimi Inari ist bei den Japanern sehr beliebt, und das bunte Treiben ist einen Besuch wert. Aber auch sonst ist hier immer was los, und der Weg zum Schrein ist mit Souvenirläden und Essenständen gesäumt. Entlang des Weges zum Gipfel gibt es eine ganze Reihe Getränkeautomaten, ebenso wie kleine Läden. Die verkaufen vor allem Religiöses (Kerzen, Votivtafeln) und dazu ein paar Souvenirs, die sich wohltuend vom Plastikkitsch vor den Schreintoren abheben. Hier gibt es zum Beispiel Postkarten aus Holz oder handgemachte Kekse. Wer will, kann mitten im Wald aber auch einen grünen Tee trinken oder eine Kleinigkeit essen.
Der Schrein hat eine recht ausführliche englischsprachige Website für mehr Informationen und einen offiziellen Festivalkalender.
Ach Sabine, wie gut erinnere ich mich hieran !
Leider habe ich es bis zum Top nie geschafft – aber das ist wohl auch nicht echt nötig ??
Und doch: ein Wahnsinns-Highlight, auch als Foto immer wieder !
Dank für Deine spannenden Berichte…
Liebe Heidi,
was nicht ist kann ja noch werden. Ich bin noch ein paar Monate her und krabbeln gerne mit Dir zusammen den Berg rauf. ; )