Sushi mit Nervenkitzel
Der Genuss von Kugelfisch ist potenziell tödlich, denn der kleine Fisch enthält genug Gift, um einen Menschen umzubringen. Tod durch Sushi, sozusagen. Trotzdem – oder gerade deswegen – gilt fugu, wie der Fisch in Japan heißt, als Delikatesse, und jedes Jahr gibt es eine Hand voll Todesfälle. Nur logisch also, dass ich in Osaka gleich mal das 5-Gänge-Menü geordert habe. So ein Essen mit Nervenkitzel will ausprobiert werden. Das Wichtigste vorweg: die Flossen isst man nicht! Überflüssig zu erwähnen, dass ich eine Flosse gegessen habe …
In Deutschland ist der Verzehr von Kugelfisch verboten. In Japan lautet der Kompromiss: nur speziell ausgebildete Köche dürfen fugu zubereiten. Denn das Gift steckt vor allem in inneren Organen wie der Leber. Wenn der Koch beim Filetieren also keinen Mist baut und den Fisch unfallfrei auseinander nimmt, stehen die Chancen gut, dass man sein Abendessen tatsächlich überlebt. Restaurants, die den kugeligen Fisch servieren, sind oft darauf spezialisiert und bieten nicht viel anderes an.
So auch die kleine Lokalität, die wir zufällig auf dem Weg von der U-Bahn zum Hotel sehen. Auf Straßenniveau nur ein schmaler, dezent beschilderter Eingang, steht man zwei Treppen tiefer in einem Restaurant. Eine ältere Dame serviert, ihr Sohn steht in der Küche. Da die Dame kein Wort Englisch spricht und die Karte ausschließlich auf Japanisch gehalten ist, erfolgt die Kommunikation in einer Mischung aus Babyjapanisch und ganz viel Pantomime. Als wir das Restaurant betreten, sind wir die einzigen Gäste. Als wir knapp zwei Stunden später wieder gehen, sind wir immer noch die einzigen Gäste. Die Karte bietet das 5-Gänge-Menü mit fugu oder das 6-Gänge-Menü mit fugu und optional die Gerichte des Menüs einzeln. Kurzentschlossen wird es das 5-Gänge-Menü, von dem ich nur Teile entziffern kann. Überraschungsessen mit Nervengift.
Die ersten drei Gänge werden gemeinsam aufgetragen: fugu-Sashimi (also dünne Scheiben roher Fisch), gekochter fugu als eine Art minimalistischer japanischer Salat (mit einem kleinen bisschen Grünzeug und einem zitronigen Sojadressing) und ein heißer Sake mit je zwei Flossen des Kugelfischs. Als Frau denke ich, dass es darum geht, dass der Fisch den Geschmack des Reisschnaps annimmt, und knabber fröhlich eine Flosse weg (ziemlich knusprig). Der Mann an meiner Seite ist der Meinung, es gehe darum, dass der Sake eine wenig kugelfischig wird, und die Flossen daher nicht zum Verzehr gedacht seien, sondern lediglich fürs Aroma zuständig sind. Eine pantomimische Nachfrage bei der Dame des Hauses ergibt: der Mann hat recht. Die lachen im Restaurant wahrscheinlich noch immer darüber, dass die Ausländerin die Flosse gegessen hat ….
Der vierte Gang wird serviert und entpuppte sich als fugu-Fondue. Die Kochplatte in der Mitte des Tisches wird angeworfen, ein Süppchen aufgekocht, und wir bekommen je eine Platte mit Gemüse und Fischstückchen. Letztere sind nicht filetiert, sondern mit Gräten und allem einfach kleingehackt. Parallel erscheint ein weiteres Tablett mit gekochtem Reis, rohen Eiern und eingelegtem Gemüse. Dies sei für den nächsten Gang, erklärt man uns. Und tatsächlich, nachdem wir unser Fondue beendet haben, wird in das inzwischen fischige Süppchen erst der Reis gekippt, dann werden die Eier aufgeschlagen und darüber verteilt. So ensteht eine Reissuppe mit gestocktem Ei, zu der das eingelegte Gemüse gegessen wird.
Ehrlich gesagt fand ich den Geschmack des fugu nicht sonderlich aufregend. Wäre er nicht potenziell tödlich, hätte er es wohl nie in die Liste japanischer Delikatessen geschafft. Was nicht heißen soll, dass das Essen nicht trotzdem gut und vor allem auch abwechslungsreich war. Man sollte nur davon Abstand nehmen, zum Nachtisch die Symptome für eine Kugelfisch-Vergiftung zu googeln. Ich habe mir danach die halbe Nacht eingebildet, meine Zunge wäre ein bisschen taub …