Mein Festival-Sommer
In Kyoto steht an an fast jeder Ecke ein Tempel oder Schrein. Das bedeutet, dass im Sommer an jeder zweiten Ecke ein Tempel- oder Schreinfest stattfindet. Dann gibt es noch Feuerwerk, Lichterfeste und kleine Extraveranstaltunge von Museen und historischen Gebäuden. Mit anderen Worten: man kann eigentlich fast jeden Abend irgendwo hingehen und was erleben. Jeden Abend finde ich ein bisschen viel, aber das ein oder andere habe ich besucht in den letzten Wochen.
Das wichtigste Fest in Kyoto ist Gion Matsuri, darüber habe ich schon ausführlich berichtet. Das schönste Fest für mich war aber Motomiya-sai, das Laternenfest am Fushimi Inari Schrein am 21. Juli. Ganze Wände leuchtend roter Lampions werden auf dem Gelände aufgehängt (rechts und oben). Auch ein Stück des Weges durch die Torii, das ist das Bild auf der Startseite meines Blogs, wird mit Laternen verziert. Mit dem Fest danken die Gläubigen für den Schutz, den sie das Jahr über von den Göttern erfahren. Trommelgruppen sorgen an diesem fröhlichen Abend ebenso für Stimmung wie singenden Mönche. Weil in diesem Schrein der Gott von einem Boten in Form eines Fuchses begleitet wird, tragen viele Gäste Fuchsmasken. Nicht vor dem Gesicht, sondern im Haar. Meist zusammen mit traditioneller Kleidung (Yukata, die kleine Schwester des Kimono), zur Not aber auch zur Schuluniform (links). Auf dem Weg zum Tempel kann man neben Souvenirs auch jede Menge zu essen kaufen, von Tintenfischbällchen am Spieß (takoyaki) bis zu geschabtem Eis mit Sirup. Es war brechend voll, aber die Stimmung sehr gelassen. Und abseits der Hauptwege fanden sich sogar ruhigere Ecken.
Nasse Füße gab es am Shimogamo Schrein beim Mitarashi Matsuri (20. bis 29. Juli). Hier läuft man durch einen kleinen Teich, und diese rituelle Fußwaschung soll einen vor Krankheit und Unglück bewahren. Man bekommt dazu eine Kerze, die man auf dem Weg durchs Wasser anzünden und aufstellen kann. Das klingt sehr stimmungsvoll und wäre es auch gewesen, wenn der Tempel den Ausstieg aus dem Teich nicht taghell mit Neonröhren erleuchtet hätte. Nach dem Marsch durchs kühle Nass konnte man auch noch Wasser aus der heiligen Quelle trinken. Wobei ausdrücklich betont wurde, dass es nicht aus dem Becken kommt, durch das gerade alle waten …
In Sachen stimmungsvolle Atmosphäre könnte auch das Anfang August stattfindende Gojo-zaka Keramik-Festival Nachhilfe gebrauchen. Das größte Keramik-Festival Japans mit 400 Ständen findet nämlich rechts und links einer mehrspurigen Straße statt, auf der der Verkehr tobt, während man kunstvolle Teebecher und Sakefläschen bewundert. Ich hatte mir dort eigentlich die Teetasse ausgesucht. Einen wunderschönen Becher in Blautönen, der das Andenken an meine Zeit in Kyoto werden sollte. Die Tatsache, dass der Künstler schon beim Aufbau seines Standes um kurz nach neun Uhr morgens ein Bier trank, habe ich seiner sensiblen Künstlerseele zugeschrieben, die mit dem Druck der öffentlichen Zurschaustellung seiner Arbeit hadert. Aber scheinbar trinkt er auch am Brennofen, und dann nicht mehr nur Bier. Mein schöner Becher bekam jedenfalls beim ersten Kontakt mit heißer Flüssigkeit Risse und lief aus. Immerhin habe ich meine Empörung am nächsten Tag in Babyjapanisch kleiden können und mein Geld zurückbekommen.
Über die sommerliche Abendbeleuchtung im Gartenmuseum auf dem Berg Hiei Anfang August habe ich ebenfalls schon geschrieben. Der Blick von dort oben wäre eigentlich ideal gewesen für das Feuerwerk über dem Biwa See, das am 7. August stattfand. Denn das Seeufer war größtenteils mit hohen Sichtschutzwänden abgesperrt. Direkten Zugang zum Ufer gab es nur gegen Geld, das Feuerwerk ist schließlich eines der größten in der Region. So gab es nur einen Platz in der zweiten Reihe für mich, und das hieß: Feuerwerk hinter Bäumen. Auch ein … ähm … nennen wir es künstlerischer Effekt. Irgendwie. Aber das drumherum war sowieso viel interessanter. Ich sage nur: Crowd Management.
Denn wenn rund 350.000 Menschen so ein Feuerwerk ansehen, wollen die auch alle irgendwann nach Hause. Und zwar mehr oder weniger gleichzeitig, kurz nachdem die Lichter am Himmel erloschen sind. An jeder Ecke gab es Ordner mit blinkenden Westen und leuchtendem Zeigegerät, die Fußgängern und Autofahrern eine unfallfreie Koexistenz ermöglichten. Der Zugang zum Bahnhof verlief im Zickzack, um die Menge auseinander zu ziehen. Im Bahnhof stand Personal mit großen Schildern, um Besitzer der Chipkarte für Bus und Bahn von Tagesticketkäufern zu trennen, damit erstere nicht in den Schlangen an den Ticketautomaten hängen blieben. Die Ordner bildeten zum Teil Menschenketten im Bahnhof, um die Leute zu lenken. Und die Japaner bleiben bei all dem gelassen, höflich und würdevoll. Und ich glaube ja, dass die Tatsache, dass man in diesem Land erst mit 20 Jahren Alkohol kaufen darf, sehr zu dieser gelassenen Stimmung bei Großereignissen beiträgt. Wenn man alt genug ist, um sich zu betrinken, hat man die schlimmste Pöbelphase schon nüchtern hinter sich gebracht …
Was bei uns Allerheiligen ist, ist in Japan Obon. Dieses mehrtägige Fest für die Seelen der Verstorbenen wird im August gefeiert, die Termine variieren dabei örtlich leicht. Das Ende des hiesigen Obon wurde am 16. August begangen. Dazu gab es eine ganze Reihe von Festen. Ich war beim Arashiyama Toro Nagashi, einem Laternenfestival am Katsura-gawa Fluss. Hier werden hunderte Laternen zu Wasser gelassen. Wobei sie nicht romantisch stromabwärts schwimmen, sondern ungefähr 500 Meter weit, dann werden sie wieder aus dem Wasser gefischt. Der Umwelt wegen.
Parallel dazu findet Gozan Okuribi statt. Fünf große Feuer werden in den Bergen rund um die Stadt entzündet, und zwar in Form von Schriftzeichen oder religiösen Gegenständen (etwa einem Schrein-Torii). Von Arashiyama aus waren zwei davon zu sehen. Mit den Feuern sollen die Seelen der Verstorbenen, die während der Obon-Tage unter den Lebenden weilen, wieder in die Welt der Geister zurück geschickt werden.
Eine wie ich finde sehr spannende Kombination aus moderner Kunst an historischem Ort läuft aktuell noch, nämlich ein Lichterfestival am Shimogamo Schrein (der mit den nassen Füßen, siehe oben). Der Schrein gehört zu den ältesten Japans und ist UNESCO-Weltkulturerbe. Zurzeit werden der Wald um den Schrein sowie der Eingangsbereich von einer Lichtinstallation verwandelt. Riesige, eiförmige Leuchtkörper säumen den Weg zum Schrein und wechseln dabei ständig die Farbe. Das Laub der Bäume wird von unten in ebenfalls wechselnden Farben beleuchtet und erscheint dadurch zum Teil vollkommen künstlich. Sphärische Musik verstärkt den Effekt. Was ihn wieder etwas kaputt macht: obwohl man für diese Attraktion ausnahmsweise mal Eintritt zahlen muss, ist es brechend voll. Daher sind die Videos auf der Website des Projektes in diesem Punkt etwas irreführend. Aber die Effekte sind trotzdem toll.